Trikotagenwerk Schmitz

Neu Tramm
Datum: 1950
Zeitraum: 1946 - 1960

Anmerkung im Fotoalbum:

So sah das Gebäude 1950 aus, als es unter viel Schwierigkeiten gekauft wurde.

Dazu der Text aus dem Bielefelder Westphalen-Blatt 1952

Bielefelder überlistet das Amt Blank
Trikotagenwerk auf dem Appellplatz

Akten schließen sich endgültig / In Bielefeld abgebrannt — an der Zonengrenze 100 neue Arbeitsplätze

Noch in diesem Jahre schließen das Amt Blank und die Oberfinanzdirektion Hannover endgültig die Akten im Falle „Neu-Tramm". In dem so bezeichneten Zonengrenzflecken südöstlich von Lüneburg waren sie von einem Bielefelder Fabrikanten mit viel Zivilcourage überlistet worden. Dieser Mann hatte es verstanden, dem Fiskus „für ein Butterbrot" ein großes Gebäude abzuhandeln und darin statt der geplanten Truppenunterkunft mit angrenzendem Appellplatz eine Fabrik einzurichten.

In diesen Tagen verpacken im Neu-Trammer Werk, Wand an Wand mit der Unterkunft des Bundesgrenzschutzes, einige Flüchtlinge den Rest der Frühjahrs-Sonderproduktion von einer viertel Million Badeanzügen, für die Bestellungen bis nach Indien vorliegen. Damit ist das Werk finanziell gesichert.

Zwar fehlen im Gebäude noch einige Türen, an den Garagen alle Holzteile und in den einzelnen Werkstätten wichtige Einbauten, doch der Betrieb mit über 100 von der Regierung als krisenfest bezeichneten Arbeitsplätzen für Flüchtlinge läuft auf vollen Touren. Das armselige Flüchtlingslager, einen Steinwurf von der aufstrebenden Fabrik entfernt, kann bald abgerissen werden und einer schmucken Neusiedlung Platz machen, die von dem gelungenen Experiment kündet.

Das Experiment begann mit einem Unglück, als in Bielefeld vor vier Jahren ein mittlerer Textilbetrieb niederbrannte und dem Fabrikanten Schmitz dann das Geld für den Wiederaufbau am alten Platz fehlte. Wie es der Zufall wollte: Schmitz kam in Verbindung mit dem Lüneburger Regierungsdirektor Berg, einem der bekanntesten Spezialisten Westdeutschlands für die Ankurbelung der Wirtschaft im Zonengrenzraum.
In Neu-Tramm zeigte der Regierungsdirektor dem Bielefelder Fabrikanten ein vom Verfall bedrohtes Haus in einer fast menschenleeren und vom Verkehr kaum berührten Gegend. Hier eine Fabrik einzurichten, hätte normalerweise niemand verantworten können. Doch die beiden wußten es besser, und Schmitz war bereit, das Neu-Trammer Haus zu erwerben.

Aber von diesem Augenblick an schaltete sich die Oberfinanzdirektion Hannover ein. Sie verwaltete das Gebäude der ehemaligen Wehrmacht treuhänderisch für das Amt Blank. Der Fiskus wollte das Haus zeitweilig verpachten, weil danach der Bundesgrenzschutz mit einer motorisierten Abteilung in Neu-Tramm Quartier beziehen sollte. Die heutige Fabrik war in diesem Vorhaben schon als Unterkunft mit anschließendem Appellplatz eingeplant.

Werk für „Ei und Butterbrot"

Der Lüneburger Regierungsdirektor ließ sich aber von seiner Idee nicht abbringen; und er wußte auch Rat. Das strittige Haus zählte zwar zum Wehrmachtsvermögen, aber das Grundstück selbst gehörte einem Bauern, den der Fabrikant ausfindig machte. Vor 1945 hatte die Wehrmacht und danach der Fiskus vergessen, das Grundstück zu enteignen (Reichsleistungsgesetz). Als man das Versäumte nachholen wollte, war es zu spät.

Unterstützt von Berg, drohte der Fabrikant dem zuständigen Oberfinanzpräsidenten mit einem Prozeß. Entweder mußte der Fiskus das Haus abreißen, damit der Bauer wieder sein Grundstück im alten Zustande bekäme, oder er bewilligte den Hausverkauf. Vor der Kapitulation hatte das Gebäude einen Wert von über 50 000 Mark. Schließlich wurde man sich handelseinig und der Fabrikant bezahlte den Reichsmarkpreis, abgewertet auf 10:1 auf DM, mit einem von Berg beschafften Kredit aus Bundesmitteln.

Allen Prophezeiungen zum Trotze behielten Berg und der couragierte Bielefelder recht. Die Fabrik überwand mehrere Krisen und entwickelte sich zum wirtschaftlichen Kristallisationspunkt in diesem Elbe-Zonengrenzstreifen. Die Meinung der Finanzbehörden, die Fabrik würde sich nicht halten und der Bundesgrenzschutz käme doch noch nachträglich zu seiner Unterkunft mit dem Appellplatz, wurde jetzt endgültig aufgegeben.

Der Pförtner des Trikotagenwerkes und der Posten vor der Unterkunft der Grenzjäger tun heute, nur wenige Schritte voneinander getrennt, ihren Dienst, aber beide sind, wie auch die Behörden, mit der Regelung dieses Falles, über den sich jetzt in Bonn und Hannover die Akten schließen, in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht zufrieden.
Herkunft:  Helmfried  Schmitz
Quelle:  Michael  Huber
Fabrik • Gewerbe/Firma • Industrie
Archiv-ID: 39801
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