100 Jahre Heimatzeitung lm Kreise Lüchow-Dannenberg, 4. Dezember 1954
Täglich 30.000 Worte
Wie das Räderwerk einer großen Maschine arbeitet ein moderner Zeitungabetrieb. Die Zeiten, in denen ein Herausgeber sein eigener Redakteur, Setzer und Drucker war, sind längst dahin. ln mehreren Schichten wird im Druckereihaus gearbeitet, um die täglichen 30 000 Worte in der Zeitung an den Leser zu bringen.
Nur wenige unter unseren Lesern, für die allmorgendlich die Lektüre der Zeitung ein selbstverständlicher Teil des Tages ist, haben schon einmal Gelegenheit gehabt, die Entstehung einer Zeitungsausgabe von der Meldung bis zur Rotationsmaschine mitzuerleben oder den Weg ihrer Anzeige vom Ladentisch der Annahmestelle bis zur Wiedergabe in den Anzeigenspalten zu verfolgen. Es ist schon aus dem Grunde unmöglich, weil sie dann 24 Stunden ununterbrochen im Verlagshaus weilen müßten, denn genau so lange dauert es, bis eine neue Zeitungsausgabe fertiggestellt ist. Irgendwo im Druckerhaus, in irgendeiner der vielen Abteilungen, die ein moderner Zeitungsbetrieb hat, wird immer gearbeitet, bei Tag und bei Nacht.
Wenn Sie, verehrter Leser, ihr abendliches Rundfunkkonzert hören oder einen Spätschoppen genießen, macht der letzte Redakteur, der Nachrichtenonkel, Aufnahme-Schluß, gibt sein letztes Manuskript in die Setzerei und beginnt dann, seine Seiten zusammenzustellen. Wenn Sie den ersten, den gesunden Schlaf vor Mitternacht begonnen haben, bastelt eben jener Redakteur an seinen Schlagzeilen oder wälzt in seinem Bildarchiv nach der letzten attraktiven Aufnahme von Sylvana Mangano oder Erich Ollenhauer. Und während er noch seinen schwarzen Kaffee schlürft, wirken nebenan in der Setzerei die letzten Metteure.
Nach der Polizeistunde wachen Sie vielleicht (sowas soll ja bei uns schon vorgekommen sein) vom Geräusch einiger auf der Straße zu singen versuchenden Herren und Damen auf, sehen ärgerlich auf die Uhr ob dieser späten Störung: es ist halb zwei — genau der Zeitpunkt, an dem die Drucker bei der Zeitung beginnen, ihre Rotation klar für die nächste Ausgabe zu machen. Und zwei Stunden später beginnt mit ziemlichem Geräusch besagte Rotation die ersten Exemplare auszustoßen. Morgens um 6 drehen Sie sich noch einmal gähnend im Bett herum, Sie haben noch eine Stunde Zeit. Bei uns gehen just zu diesem Zeitpunkt die Drucker nach Hause, und in Göhrde wendet der Kraftfahrer seinen Kombi wieder in Richtung Lüchow, auf der Post fliegen die schweren Zeitungspakete in die Omnibusse und Landkraftwagen, und im Verlagshaus beginnen die Vertriebsleute mit ihrer Arbeit. Gegen sieben, Sie hören, noch immer im Bette liegend, die Morgengymnastik im NWDR oder haben den Trockenrasierer gerade an die Steckdose geschlossen, klappt unten die Haustür, eine Stimme ruft "Zeitung!" — und da ist sie schon, die Morgenzeitung, den letzten Stand der deutschen Wiederbewaffnung auf der ersten Seite und hinten die Verlobung von Lottchen Ahnungslos mit Anton Frühreif verzeichnend nebst (totsicherem) Wetterbericht, ja sogar Ihr eigener Leserbrief in Sachen Allgemeine Ortskrankenkasse steht in der Meckerecke "Leser sagen ihre Meinung".
Inzwischen treten Sie befriedigt ("Denen hab‘ ich‘s aber gegeben!") ihren täglichen Gang ins Büro an. Sie treffen unterwegs Ihren Sangesbruder Otto, den Buchhalter bei der Zeitung, der gleich Ihnen auf dem Wege zum Dienst ist. Wenn der in der Wallstraße anlangt, findet er dort bereits wieder rasselnde Setzmaschinen vor, die Handsetzer reißen die Seiten im Satz, die Ihre Frau nunmehr daheim in Ruhe studiert, nachdem diese Sie erst mal abgefertigt hat, auseinander und bereiten das Material für die nächste Nummer vor.
Zum Frühstück laufen Sie schnell einmal zum Markt hinüber und kaufen sich ein paar Äpfel zur Vitaminanreicherung. Dabei sehen Sie gerade, wie unser Olaf Linse, die Kamera am Riemen über der Schulter, die Schmiedestraße hinunter schlendert in Richtung Redaktion. Diese Zeitungsscheiche haben doch wirklich ein müßiges Leben, denken Sie. Um 11 geht der in den Dienst, aber wenn man mal anruft und einen von den Brüdern sprechen will, dann ist keiner da! Auch der Stift beim Verlag sieht demonstrativ auf die Uhr, wenn Fräulein Chronismus samt ihrem Kollegen Wärstebesser ein müdes "Morgen" murmelnd im Laden antanzen. Daß die eine bis kurz vor Mitternacht auf der Generalversammlung des Vereins zur Bekämpfung der Tuberkulose gesessen hat und anschließend noch einen Bericht verfaßte und der andere wegen Molotow aus dem Bett geholt wurde, weil eine neue Sowjetnote kommen sollte und dann doch nicht kam, das alles weiß natürlich der jugendgesetzgeschützte Bengel nicht. (Anmerkung eines geplagten Redakteurs: Manch anderer Verlagskollege auch nicht!)
Auf der Redaktion — das "auf" kann man sich im Zeitungsjargon nun mal nicht abgewöhnen, obwohl es bildlich ein Unfug ist — dampfen alsbald Pfeifen und Zigaretten, daß es einen normalen Kanarienvogel in kürzester Frist vergiften könnte. Das aber ist nach Meinung aller Journalisten in der Welt nötig, um den Geist anzuheizen. Und wenn sämtliche Redaktionsräume genügend mit blauem Dunst angefüllt sind, dann hat die Geburtsstunde der neuen Zeitungsausgabe geschlagen, dann hat die Redaktion in großen Zügen beschlossen, worüber sich morgen die Leserschaft je nach Temperament erregt oder amüsiert. Der Leitartikler zieht sich zu tiefschürfenden Gedanken über die neue Achterkonferenz zurück, nicht ohne vorher nach Kaffee und Zigaretten geschickt zu haben, der Lokalfritze füllt seinen Papierkorb und fängt an, endlose Telefongespräche mit Hinz und Kunz zu führen, Olaf Linse praktiziert einen neuen Film in seine Leica, um für den Webstuhldoktor irgendwo ein original wendländisches Brautkleid zu fotografieren, und wieder ein anderer fängt an, am Hellschreiber die Knöpfe zu drehen, damit der Anschluß an das große Weltgeschehen gewahrt bleibt.
Ja, der Ingenieur Hell von Siemens war ein helles Köpfchen, als er jenen Apparat konstruierte, der heute für die Nachrichtenübermittlung einer Tageszeitung unentbehrlich geworden ist: den Hellschreiber. Mit dessen Hilfe kann jede Redaktion, ohne auf Fernsprechleitungen oder Rundfunkübermittlung angewiesen zu sein, laufend die Meldungen der großen Nachrichtenagenturen aufnehmen und schnellstens verarbeiten. In der Schnelligkeit liegt nun einmal das Wesen der modernen Zeitung, ihr allein dienen die vielen und komplizierten Maschinen ihres Betriebes, und sie ist oberstes Gesetz für alle Mitarbeiter. Wenn morgens um 10.35 Uhr in Buenos Aires ein D-Zug entgleist, dann kann (wenn die Zahl der Toten das rechtfertigt) der Hellschreiber der EJZ eine halbe Stunde später bereits eine erste Meldung über das Unglück der Redaktion übermittelt haben.
Das monotone Ticken des Schreibers gehört zum Zeitungsbetrieb wie das Rasseln der Setzmaschine oder das Rollen der Rotation. Ununterbrochen vom frühen Morgen bis weit nach Mitternacht sitzen bei den Presseagenturen die Tippmammsells vor dem Schreiber, dessen Tasten denen einer Schreibmaschine ähneln, und jagen Buchstaben für Buchstaben die Meldungen aus Politik, Wirtschaft, Sport und Kultur in den Äther, die dann bei den einzelnen Zeitungen die Redakteure aufnehmen. Das klingt sehr einfach, doch liegt dem ein recht verzwickter technischer Vorgang zugrunde. Jeder Tastendruck beim Schreiber löst eine bestimmte Folge von Impulsen aus, die, über einen Langwellen-Rundfunksender geleitet, im Gerät des Empfängers aufgenommen werden und dort als Buchstaben wieder auf einem schmalen Papierstreifen erscheinen. Dies geschieht durch einen Magnethebel, der ein laufendes Papierband gegen eine Schreibspirale drückt. Dabei entstehen durch die erwähnten Impulse rasterartige Zeichen auf dem Band, die Buchstaben ergeben. Wenn der Redakteur nach Betätigung von einem halben Dutzend Knöpfen an seinem Empfänger, der Ähnlichkeit mit einem großen Rundfunkgerät, und einer genauen Abstimmung mittels Kopfhörer endlich die große Welt auf seinem Bande hat, dann ist er für seine Umwelt nicht mehr zu sprechen. Unablässig verfolgt er die eingehenden Meldungen, sortiert sich die heraus, die er verwenden will, und läßt die anderen gleich den Weg alles Irdischen gehen. Endgültig Entscheidungen kann er erst dann treffen wenn alle Meldungen durch sind und er vor Redaktionsschluß einen Gesamtüberblick hat. Dann beginnt der zweite Teil der Nachrichtenarbeit. Es gilt das Material der verschiedenen Nachrichtenagenturen zu vergleichen, Meinung von Tatsache zu trennen, zusammenzufassen und schließlich den Platz für die betreffende Meldung in der Zeitung zu bestimmen.
Bonns neue Aktionen und der Kommentar des Oppositionsführers, der Haushaltsplan des Kreises, der letzte Modetip für die Frau und die Statistik über die abnehmende Arbeitslosigkeit und tiefgründige Betrachtungen über expressionistische Malerei kommen in schöner Eintracht in die Maschinensetzerei. Die Maschinen werden gefüttert, sagt der Redakteur und "Stoff her" der Setzer. In kunterbuntem Durcheinander rasselt nun der Mann an der Maschine das alles herunter. Ein echter Vertreter der Maschinensetzergilde sitzt grundsätzlich in Latschen vor seiner "Kiste" und läßt sich von niemandem im Verlag imponieren. In der Stunde setzt er 6 000 Buchstaben, und von seiner Arbeit hängt in hohem Maße die Aktualität der Zeitung ab.
In natürlicher Feindschaft lebt der Maschinensetzer mit dem Korrektor, dem Manne, der als erster die Abzüge der gesetzten Spalten mit dem Manuskript vergleicht und für die erste Ausmerzung von Fehlern verantwortlich ist. Beide müssen die Materie "Deutsche Sprache" aus dem ff beherrschen, und das führt mitunter zu Differenzen, die denen der Mathematiker an höheren Schulen ähnlich sind.
Wenn sich beide einig geworden sind und die Kompromiß-Bierflasche geleert haben, kommen die Abzüge zurück zur Redaktion, werden dort mit Überschviften und Anweisungen für die betreffende Seite versehen und wandern zu den Handsetzern und Metteuren. Erstere versehen den Maschinensatz mit den Überschriften aus ihren Setzkästen, in denen Schriften aller Größen und Charaktere enthalten sind, den anderen obliegt es, den solchermaßen vorbereiteten Satz seitenweise in Metallrahmen, sogenannten Schiffen, zusammenzustellen.
So entsteht Seite um Seite, die zur abermaligen Korrektur wandert. Erst wenn diese durchgeführt ist, wird die nun abgeschlossene Seite zum Druck vorbereitet. Allerdings — bis zu diesem, dem letzten Vorgang bei der Zeitungsherstellung. ist noch allerhand anderes nötig. Da wird zunächst einmal von der Seite eine sogenannte Mater geprägt. In einer 60 Zentner schweren Presse wird nämlich die im „Schiff“ stehende Seite gegen eine leicht angefeuchtete Pappmaché gedrückt. Dies geschieht mit einem Druck von etwa 100 Atmosphären, so daß sich alle Feinheiten der Bleiseite nun im Spiegelbild in die Platte, die "Mater", eingedrückt haben.
Haargenau läßt sich nun schon die Zeitungsseite auf der Pappe lesen, auch jedes Bild ist schon deutlich kenntlich. Auf die gleiche Weit« entstehen natürlich auch die Anzeigenseiten, nur mit dem Unterschied, daß sie größtenteils im Handsatz hergestellt werden. Auch hier laufen die Manuskripte durch diverse Korrekturen, und die Zusammenstellung auf dem "Schiff" zu ganzen oder halben Seiten, zu Streifen oder gar Einzelanzeigen im Text erfolgt genau so wie der "Umbruch", so nennt das der Fachmann, der reinen Textseiten der Zeitung. Maßgeblich sind lediglich für die Platzierung der Auftrag des Anzeigenkunden und natürlich — der Preis. Denn eine Zigarettenreklame auf der ersten Lokalseite ist um ein Vielfaches teurer als im Anzeigenteil.
Widmen wir uns aber nach diesem kurzen Ausflug in die Praxis des Anzeigenwesens wieder dem technischen Gang der Zeitung! Die inzwischen geprägte Mater kommt nun in die Hände der Stereotypeure. Das sind Leute, die grundsätzlich nur nachts arbeiten, viel Milch trinken und ihre anderen Kollegen aus dem Betriebe mitunter wochenlang überhaupt nicht zu sehen bekommen. Milch trinken sie, oder sollten sie wenigstens in großen Mengen trinken, weil der Umgang mit heißem und flüssigem Blei bei hohen Innenraumtemperaturen nicht gerade zu dem Gesündesten gehört, was man dem menschlichen Körper zumuten kann. Besagte Stereotypeure nun formen mittels der Mater von der Zeitungsseite und entsprechenden Gießapparaten runde Platten aus Blei, auf denen nun wieder das gleiche Schriftbild in Blei erscheint, das wir vorher auf dem Schiff vor dem "Materprozeß" fanden. Nur, daß diese Platten eben halbrund sind, genau den Zylindern der Rotationsmaschine angepaßt.
Auch eine solche Rotationsmaschine ist ein technisches Wunderwerk, das nicht in zwei Sätzen erklärt werden kann, sondern über das man eine ganze Seite schreiben könnte, bis ihre Funktionen dem Laien eingegangen sind. Lassen wir es für uns heute damit bewenden: Die Drucker befestigen die halbrunden Bleiplatten an den erwähnten Zylindern der Maschine. Durch Farbwalzen wird bei der Drehung diesen Platten Druckfarbe zugefügt, und durch den Druck der Bleiplatten auf das bandförmig darüber oder darunter hinlaufende Papier gegen einen dahinter liegenden Gegendruckzylinder entsteht die Schrift in der Zeitung. Aber damit ist die Tätigkeit der Rotationsmaschine noch nicht abgeschlossen. Sie schneidet und faltet auch die Zeitung zu dem Format, in dem sie frühmorgens auf Ihrem Kaffeetisch zu liegen pflegt, und zählt auch die Einzelexemplare zu 25, 50 oder 100 Stückpaketen zusammen. und erleichtert damit ganz wesentlich den Versand nach außerhalb. Fix und fertig, nur noch etwas farbfeucht verlassen in den ersten Stunden des Tages die neuen Ausgaben der EJZ die Rotationsmaschine, die Zeitungsausgaben bis zu einem Umfang von 16 Seiten in einem Arbeitsgang drucken kann.
Damit ist der tägliche Rundlauf bei der Zeitung abgeschlossen. Tagaus, tagein löst ein Arbeitsgang den anderen ab, sonntags und wochentags und ohne Rücksicht auf Feiertage. Nur eine Ausnahme in dem wöchentlichen Circulus: am Sonnabend bleibt die Rotationsmaschine stehen, und an diesem Tage können ihre Herren sich auch abendlich einen Dämmerschoppen leisten oder einen zünftigen Männerskat bis Mitternacht spielen. Sonnabend nacht vermissen die Bewohner der Wallstraße das ihnen sonst zur Gewohnheit gewordene nächtliche Getön der Rotationsmaschine. Man trifft sich im Zeitungsbetrieb erst am frühen Abend des Sonntages wieder, damit Seine Majestät der Leser am Montagmorgen erfahren kann, ob Jupp Posipal auch diesmal die Erwartungen der National-Elf nicht getäuscht hat und wie hoch vermutlich die Quoten im Toto oder Zahlenlotto sein werden.
Sie hatten nicht gedacht, verehrter Leser, daß solch ein Aufwand um das "bißchen Zeitung" nötig ist, das Ihnen Schmalfelds Mutter morgens durch die Briefkasten-Ritze schiebt? Nun, es ist noch weit mehr dazu erforderlich, und wir haben Ihnen hier nur die wichtigsten Arbeitstakte geschildert. Wenn Sie Lust haben, das alles mit eigenen Augen zu sehen — bitte, schlagen Sie sich mal eine Nacht um die Ohren und kommen Sie zu uns, Sie sind herzlich gern gesehen und willkommen ... Hans-Ludwig Reinbold.
Das Bild in der Zeitung
Vor 100 Jahren zog der erste Photoreporter der Welt an die Krim-Front - Die Nachricht im Bild ist sehr gefragt
Eine Tageszeitung ohne Bilder können wir uns heute nicht vorstellen. Jede Redaktion belebt ihre Seiten durch Bilder, nicht nur, weil sie den Leser in ein Thema besser einführen möchte, sondern auch, weil es oft nicht mehr genügt, ein wichtiges Ereignis in der Politik, im Lokalgeschehen oder im Sport mit mehr oder weniger fetten Zeilen in den Spalten der Zeitung herauszustellen. Das aktuelle Photo erst hebt die wichtige Nachricht aus dem übrigen Tagesgeschehen hervor und stempelt den Bericht wie ein Beglaubigungssiegel eine Zeugnisabschrift als wahrheitsgetreu ab.
In unserer gehetzten Zeit wollen wir schnell unterrichtet sein, gewissermaßen auf einen Blick. Dazu genügt uns aber nicht die Schlagzeile, wir wollen mehr und mehr die Bildnachricht. Darum ist die Nachfrage nach illustrierten Zeitschriften und bebilderten Boulevardblättern in Deutschland heute größer denn je. Der Bedarf wird gedeckt, leider vielfach durch minderwertige Themen.
Aber Bildreportagen und bebilderte aktuelle Seiten sind längst nicht mehr das Privileg der Illustrierten und Großstadtzeitungen. Auch die Heimatzeitungen schaffen mehr und mehr die technischen Voraussetzungen, um ihren Lesern eine Zeitung mit Bildern zu liefern. Das aktuelle Photo, die Bildnachricht, sie ist das eigentliche Pressebild. Aber auch das zeitlose, unterhaltende Photo hat seinen Wert für die Zeitung, denn im Feuilleton oder in der Heimatbeilage kann ebenfalls auf das Bild nicht verzichtet werden.
So ist der Wert des Zeitungsphotos gerade in den letzten Jahren rapide gestiegen. Doch, was heute für uns eine Selbstverständlichkeit ist, war vor 100 Jahren technisch gar nicht möglich. Zwar zog vor 100 Jahren als erster Photoreporter der Welt der englische Rechtsanwalt Roger Fenton, ausgerüstet mit einem von vier Pferden gezogenen Laborwagen mit vielen hundert Glasplatten, Kisten und Chemikalien, an die Krimfront und kehrte mit für die damalige. Zeit Aufsehen erregenden Aufnahmen vom Kriegegeschehen am Schwarzen Meer nach England zurück.
Von einer schnellen Bildberichterstattung im heutigen Sinne konnte aber nicht die Rede sein, denn wenn selbst die Photos auf kürzestem Wege zum Auftraggeber gelangt wären, die Tageszeitungen hätten sie nicht drucken können, weil die Autotypie, das Rasterklischee, erst 27 Jahre später, nämlich 1881 von Georg Meisenbach erfunden wurde. Bis dahin wurden die Bilder für Zeitungen und Zeitschriften hauptsächlich im umständlichen und zeitraubenden Holzschnittverfahren (Xylographie) hergestellt. Daher hinkte man damals mit den Bildern stets einige Wochen hinter den Ereignissen her.
Seit dem Auszug des „PK-Mannes“ Fenton und nachdem nach dem Meisenbachschen Hochdruckverfahren am 13. Oktober 1883 die erste Autotypie in der Leipziger illustrierten erschien und am 15. März 1884, also vor 70 Jahren, die ersten Momentaufnahmen in der gleichen Zeitschrift abgedrucket wurden, entwickelte sich im Zeitungswesen mehr und mehr ein neuer Beruf - der Bildjournalist;; der Journalist, der statt der Feder die Kamera führt. Daß nun der erste Photoreporter der Welt ausgerechnet Kriegsberichter war, wird manchen nicht freuen. Es ist leider Tatsache!
Wenn man vom Photographieren spricht, denkt man an alle, die kamerabewehrt durch die Lande wandern. Photographierende Zeitgenossen aber gibt es in vier Gruppen: als Knipser, ernsthafte Amateure, Fachphotographen und Bildjoumalisten. Der Knipser knipst, was er sieht, und schafft sich mittels vieler kleiner Bildchen gewissermaßen ein Tagebuch. Der wirkliche Amateur beschäftigt sich eingehender mit der Photographie, er photographiert, was ihm gefällt, was er schön findet, und bringt es oft zu hervorragenden Leistungen. Der Fachphotograph hat sich im allgemeinen nach dem Geschmack seiner Kunden zu richten, nur wenige können sich einen eigenwilligen Stil erlauben. Der Bildjoumalist muß Bildnachrichten liefern, Bilddokumente des Zeitgeschehens. Er zeigt die Motive vom journalistischen Standpunkt aus gesehen und schafft ein Bild zum Thema, das mehr sein soll als ein bloßes Photo, — die Bildaussage. Der Bildberichter muß die Fähigkeit besitzen, das Wesentliche vom Unwesentlichen zu scheiden, und damit die Hauptforderung erfüllen, die an einen Journalisten gestellt wird. So wie das interessanteste Thema, in einem überlangen Artikel behandelt, langweilig werden kann, verliert ein Bild mit vielen Einzelheiten an Wirkung. Wenn im Weglassen der Schlüssel zum guten Bild liegt, dann gilt es besonders für den Bildberichter, diese Erkenntnis zu beherzigen, Die Totalaufnahme einer Kundgebung, eines Massenaufmarsches beispielsweise, sie mag als großformatiges Photo etwas aussagen. Das kleinere Format und der Zeitungsdruck jedoch schlucken ihre Details. Der Redner, einige Zuhörer, in ausdrucksvoller Pose auf die Platte gebannt, sagen mehr, wirken. Der Mensch ohne Maske, Gesichtszüge, die psychologische Vorgänge offenbaren, solche Bilder beeindrucken uns immer. Vom Erhabenen zum Lächerlichen aber ist nur ein Schritt, und Bilder dieser Art verlangen Können und Charakter des Autors.
Wieviel Schindluder wird mit Aufnahmen "mit menschlicher Note" getrieben! Das Menschliche wollen sie herausstellen und zeigen den Menschen in verzerrten, unwürdigen Posen. Solche Bilder, dem Leser vorgesetzt sind geeignet, ihm die Achtung vor dem Menschen zu nehmen. Dieser Sensationsunsinn, der in manchen Illustrierten seinen Niederschlag findet, ist von einigen ildredakteuren entfesselt worden. Sie verlangen die verrutschte Hose des Ministers, den sich in der Nase bohrenden prominenten Gast, den unschönen Gang der Königin oder das verzerrte Gesicht des Delinquenten vor der Hinrichtung schwarz auf weiß, und die Bildberichter liefern den Stoff. Der Bildredakteur der Heimatzeitung braucht sich mit dieser Sorte Bilder nicht zu befassen, denn seine Zeitung verzichtet von vornherein auf sie und damit gleichzeitig auf Leser, die in dieser Hinsicht noch lernen müssen.
Wie entstehen Bild und Klischee ?
Vom Augenblick der Aufnahme, dem Moment also, wo der Bildreporter auf den Auslöser des Kameraverschlusses drückt bis zum gedruckten Bild in der Zeitung ist es immer noch ein komplizierter Weg, der Dank der hochentwickelten Technik jedoch relativ schnell geschafft wird. Wollte man daher die Entstehung eines Zeitungsbildes ausführlich beschreiben, man könnte Seiten füllen. Deshalb seien hier nur die technischen Hauptprozesse genannt.
Nach der Aufnahme wird der Film in der Dunkelkammer abgeschnitten, schnell entwickelt, schnell fixiert, kurz gewässert und oft mit Gewalt und trotzdem staubfrei getrocknet, denn Zeitungsleute haben es immer eilig. Im Vergrößerungsgerät werden die geeigneten Negative ausgewählt und kopiert. Die Vergrößerungen machen dann meistens wie der Film eine Entwicklungs-, Fixier-und Wässerungs-Schnellkur durch und landen nach heißer Trocknung auf dem Tisch der Bildagentur oder direkt beim Bildredakteur einer Zeitung. Dieser gibt die ausgewählten Bilder zum Klischieren in die Chemigraphie.
Um von einem Photo eine in allen Teilen tonwertrichtige Hochdruckplatte (Autotypie) anfertigen zu können, muß das Bild in Licht- und Schattenpunkte (also kleine und große) aufgelöst werden. Dies geschieht, indem das Photo reproduziert wird, wobei zwischen dem Objektiv des Repro-Gerätes und Film oder Platte ein feines, in Glas graviertes Gitter (Raster) eingeschaltet wird. Gleichzeitig wird das Bild auf die gewünschte Klischeegröße gebracht. Die Bildfläche erscheint auf dem Negativ in feinste Punkte zerlegt. Nach dem photographischen Prozeß wird das Rastemegativ auf eine mit einer hauchdünnen, lichtempfindlichen Schicht versehene Zinkplatte im Kontaktverfahren kopiert. Nach Behandlung mit chemischen Flüssigkeiten und Farbbädern zeichnen sich auf der Zinkplatte die Rasterpunkte klar ab und werden durch Lack geschützt, während die Felder zwischen den Punkten als blankes Zink erscheinen. Wird die so präparierte Platte im Ätzapparat einer durch eine Schaufelwelle hochgewirbelten Salpetersäure-Wassermischung ausgesetzt. so ätzt die Säure die blanken Zinkteile der Platte tief. Die lackgeschützten Punkte bleiben unversehrt und bilden hochliegende Druckelemente, die Farbe aufnehmen und sie beim Drucken auf das Papier übertragen. Das gedruckte Bild ist entstanden, das Bild in der Zeitung, das jeder Leser täglich betrachtet, über dessen Herstellung er sich jedoch kaum Gedanken macht. — Kurt Schmidt.
Die Glaubwürdigkeit der Bildaussage
Die öffentliche Aussage ist die Brücke, die dem Empfänger aus seiner individuellen Abgeschlossenheit zu der großen Welt des öffentlichen Geschehens geschlagen wird. Sie zwingt ihn zu Miterleben und Stellungnahme und erweitert zwangsläufig den engen Kreis seiner Umgebung mit ihrem auf diesen Kreis ausgerichteten Denken und Handeln. Sie ist eine der Formen, in denen sich unsere Gemeinschaft abspielt.
Die Aufnahmefreudigkeit, die der öffentlichen Aussage begegnet, ist bei einzelnen Individuen sehr verschieden. Verschieden ist auch der Umfang des Auffassungsvermögens. Gemeinsam ist die Eigenschaft. die Flut von Eindrücken, die durch die Menge der Aussagen an den Empfänger herangetragen werden, zu sieben und zu sortieren und nur das Interessierende im Rahmen des Aufnahmemöglichen in sich aufzunehmen.
Um diese Aufnahme bemühen sich diverse Aussagen des täglichen Lebens. Sie helfen sich dabei mit Mitteln wie: Prägnanz, Eindringlichkeit, Kürze, Wiederholung, Vereinfachung des Denkens; aber auch Übertreibung und Sensation gehören zu ihren Waffen. Jedoch kommen erfahrungsgemäß in die engere Wahl des Aussageempfängers in erster Linie solche Bewußtseinsinhalte, an die er glaubt, zu glauben annimmt, oder an die er glauben will.
Dieses kritische Suchen nach dem Glaubwürdigen ist besonders charakteristisch für unsere an Unwahrheiten und Enttäuschungen reiche Zeit. Der Wunsch, erst mit eigenen Augen zu sehen und dann erst zu glauben, ist eine der Begleiterscheinungen des heutigen Aussageempfanges, soweit die Aussagen nicht optischer Art sind.
Aus diesem Grund fällt der Bildaussage, die den Empfänger zum Augenzeugen des Vorganges macht, eine sehr große Glaubwürdigkeit zu. Sie läßt weder ein Dementi noch eine Bestätigung erwarten und behält ihren dokumentarischen Wert weit über die Aktualität des geschilderten Vorganges hinaus. Selbst bei der stark beschränkten Aufnahmefähigkeit des einzelnen, die nur einem geringen Teil von öffentlichen Aussagen den Zutritt zum Bewußtsein gestattet, steht der Bildaussage mit ihrer spannungsvollen Unmittelbarkeit und ungeschminkten Wahrhaftigkeit die Tür stets offen.
Jeder Wortbericht gewinnt für den Leser an Wahrheitsnähe, wenn ihm ein Bild beiliegt. Das Bild fixiert unvoreingenommen den Tatort eines Verbrechens, es nimmt wahrheitsgetreu den Tatbestand bei einem Unfall oder einer Katastrophe auf und ist ein unanfechtbarer Richter über Sieger und Besiegte in der auf allen Sportbahnen der Welt eingeführten Zielphotographie.
Die bei der Wirklichkeitsnachgestaltung in ihren Mitteln sachlich und leidenschaftslos erscheinende Bildaussage wirkt am stärksten vor allem durch den Vorgang selbst, weil sie diesen unreflektiert dem Empfänger vermittelt. Ausschmückungen und Gefühlsübertreibungen, die einer Entwirklichung gleich sind, liegen weder in ihren Möglichkeiten noch im Bereich ihrer Zielsetzungen.
E. J. Klinsky- Frankfurt, Vorsitzender der Fachgruppe Bild im Deutschen Journalisten-Verband.