"Die Bahn macht die Schiene kaputt"
"Alles schreit nach der Schiene, und hier macht die Bahn die Schiene kaputt." Siegfried Baetge, Geschäftsführer der Zuckerrübenverladegemeinschaft Wustrow, versteht die Welt nicht mehr. Alljährlich im Herbst rollen vom Wustrower Bahnhof aus rund 20 000 Tonnen Zuckerrüben zur Zuckerfabrik nach Uelzen, beladen Landwirte in eigener Regie die Waggons und sind froh, daß sie diese bequeme Art des Transports nutzen können. Damit könnte allerdings in absehbarer Zeit Schluß sein. Die Bundesbahn will, so hat es die DB-Direktion Hamburg den Wustrowern mitgeteilt, ab 1995 den Ausnahmetarif für Zuckerrübentransporte nicht mehr aufrechterhalten. Die Folge: Die Frachtkosten schnellen um rund 50 Prozent in die Höhe.
Für Siegfried Baetge ist die Ankündigung der Bahn aus mehreren Gründen nicht akzeptabel. "Es kommen dann wesentlich mehr Kosten auf die Landwirte zu", ist der Blütlinger überzeugt und fügt hinzu: "Vor allem aber treibt man die Rübe auf die Straße, und das wiederum schwächt die Bahnstrecke von Wustrow nach Dannenberg."
Insgesamt gelangen auf dem Schienenweg von Wustrow über Lüchow, Dannenberg und Lüneburg aus dem Kreisgebiet rund 30 000 Tonnen Zuckerrüben zu der Uelzener Fabrik. Die Frachtkosten trägt die Aktiengesellschaft, ob sie sie in voller Höhe auch nach dem Fortfall des Ausnahmetarifs noch übernehmen würde, darf bezweifelt werden. Immerhin aber sind die Verantwortlichen der Zuckerfabrik sehr bemüht, eine Lösung zu finden, erkennt Siegfried Baetge an. Ohnehin ist der Zuckerfabrik an einer Anlieferung der Rüben auf der Schiene gelegen. Der Umfang, weiß Baetge, soll in absehbarer Zeit auf annähernd 18 Prozent des Gesamtvolumens ausgeweitet werden, um nicht dazu gezwungen zu sein, mit hohen Investitionen zusätzlichen Laderaum mit Abkippvorrichtung schaffen zu müssen.
Doch es sind auch für das Uelzener Unternehmen Veränderungen des Marktes erkennbar. Der Trend zu einer ständig größeren Verlagerung der Zuckerrübentransporte von der Schiene auf die Straße verstärkt sich. Die Ursachen sind vielschichtig. Die Bahn nennt den Ausbau des Straßennetzes sowie die personal- und kostenintensive Verbringung der Rüben zu den Umschlagbahnhöfen, sie spricht aber auch von Auflagen aus Umweltschutzgründen. In diesem Zusammenhang führt sie das Verbot der Nachtentladung und Entsorgungsprobleme an, die beispielsweise durch einen möglichen Rücktransport der den Rüben anhaftenden Erde zum Ursprungsfeld entstehen können. Ferner verweist sie auf neue Rodungstechniken mit Rübenreinigung am Feldrand und wirtschaftlichem Direktumschlag in Lkw.
Aufgrund dieser Sachlage hat sich die Zentrale der Bundesbahn entschlossen, den Zuckerrübenverkehr letztmals in der Kampagne 1994 zu den Konditionen des Ausnahmetarifs abzuwickeln, die Subvention soll also entfallen, erläuterte der in Sachen Rübentransporte zuständige Ansprechpartner der Wustrower Verladegemeinschaft bei der Bundesbahndirektion in Hamburg, Außendorf, der EJZ. Rund zehn Prozent betrage der Anteil der Zuckerrübentransporte am Gesamtfrachtaufkommen der Bahn im Bundesgebiet, allein dafür müßten rund 4 000 Waggons bereitgehalten werden. "Wir kündigen den Fortfall des Ausnahmetarifs frühzeitig an, damit sich unsere Kundschaft darauf einstellen kann", meinte Außendorf.
Die 50 Mitglieder der Zuckerrübenverladegemeinschaft Wustrow hingegen stehen nicht nur der Streichung des Sondertarifs kritisch gegenüber, sie befürchten vielmehr die Einstellung der Rübentransporte durch die Bahn. Damit würde die 1975 mit einem Kostenaufwand von 260 000 DM von ihnen gebaute Verladerampe am Wustrower Bahnhof bedeutungslos werden, für die Gemeinschaft ein erheblicher Wertverlust. Den einzigen Hoffnungsschimmer scheinen derzeit Verhandlungen mit der Osthannoverschen Eisenbahn (OHE) zu nähren. Ob die Privatbahn in die Bresche springen kann, muß mit der Zuckerfabrik und der Bundesbahn geklärt werden.
"Aus umweltpolitischen Gründen erscheint es uns geradezu grotesk, noch mehr Transporte auf die Straße zu verlegen", beschreibt Geschäftsführer Baetge die Stimmung in der Verladegemeinschaft. Die problemlose und für die Bahn kostengünstige Verladung der Zuckerrüben in Wustrow sei ideal, weil sich die Abwicklung in Zusammenarbeit mit dem Landhandel bewährt habe. Siegfried Baetge: "Seit 30 Jahren sind wir umworbene und zufriedene Kunden der Bundesbahn, und wir wollen es auch bleiben."
Von der Verladerampe rollen die Zuckerrüben auf dem Wustrower Bahnhof direkt in die Waggons der Bundesbahn. 1975 haben die Mitglieder der Zuckerrübenverladegemeinschaft 260 000 DM investiert, um diese bequeme und auch für die Bundesbahn kostengünstige Art der Anlieferung zu ermöglichen. Die Pläne der Bahn, die Frachtkosten zu erhöhen, haben sie mit Empörung aufgenommen.
Nur für Zuckerrüben sind die Waggons bestimmt, die sich gegenwärtig am Wustrower Bahnhof aneinanderreihen. Sie dürfen den Bereich der Bundesbahn nicht verlassen. Angesichts des hohen Kostenfaktors soll 1994 der Ausnahmetarif, für den Zuckerrüben auf der Schiene transportiert werden, bundesweit auslaufen. Dann gelten die üblichen Frachtkosten.
2 Aufn.: H.-H. Müller