Die Lüchower Straßennamen

Karte von Lüchow 1856 / Ausschnitt (Stadtarchiv Lüchow)
Zeitung für das Wendland vom 19.11.1930 / Seite 2

"Die Straßennamen der Stadt Lüchow

Wenn man dem Ursprung der Straßennamen nachgehen will, so muß man sich zunächst mit der Geschichte unserer Stadt befassen, denn nichts steht in einem engeren Verhältnis zu einander wie Entwicklungsgeschichte und Straßen- und Ortsteilbezeichnung. Die Stadt Lüchow zerfiel bis zum Jahre 1855 in die eigentliche Stadt zwischen der Drawehnerjeetzel und der Hauptjeetzel mit einer eigenen Magistratsverwaltung und die Drawehner und Salzwedeler Vorstadt oder Koreitz.

Südlich lag das Schloß, das bekanntlich 1811 abbrannte und das mit den zum Schloßplatz einmündenden Straßen die "Amtsfreiheit" bildete. Dieser Teil der Stadt wurde vom Amtshauptmann verwaltet und hatte seine eigene niedere Gerichtsbarkeit oder, wie man heute sagt: Polizeiverwaltung. Auf der westlichen Seite der Stadt lag der Ortsteil Drawehn oder der "Drawehner Koreitz". Das Wort "Drawehn" ist von Dransen, einer alten Bezeichnung für Waldland, abgeleitet, jedoch nicht slawischen Ursprungs, denn die Bezeichnung wurde von den hier um etwa 500 eingewanderten Wenden bereits vorgefunden.

Auf der Ostseite endlich lag die Salzwedeler Vorstadt mit ihrem hügeligen Gelände, in dem der Glockenberg (gegenüber dem Bahnhof) die höchste Erhebung im Stadtgebiet war. Der Glockenberg hat seine Bezeichnung von den Glockengießern, die dort die gesprungenen Glocken reparierten und diese dann in einem besonderen Gerüst auf ihren Klang wieder ausprobierten. Den nach der Stadt zu abfallenden Teil des Glockenberges nannte der Volksmund "Katerberg".

Wenn wir nun mit der Amtsfreiheit beginnen, so müssen wir zunächst berücksichtigen, daß auf dem künstlich aufgeworfenen Schloßberg im 10. Jahrhundert bereits eine Burg lag. Sie diente dem Schutze der Siedlung Lüchow und der hier den Jeetzelfluß überschreitenden Handelsstraße nach Salzwedel und der Elbe. Schon Kaiser Karl der Große wird diese Straße benutzt haben, obwohl die Geschichte von damals unseren Ort nicht erwähnt. Die Burg zu Lüchow wurde im 11. Jahrhundert Sitz der Grafen von Lüchow, die bis dahin in Warpke gewohnt hatten. Mit ihnen kamen auch die Ritter und Junker nach hier und siedelten sich in der Nähe der nach der Burg führenden Straße an. Hieraus lassen sich die Bezeichnungen Burgstraße, Junkerstraße und Ritterstraße erklären. An der Stelle, an der heute die Apotheke steht, befand sich früher die Mühle der Burg, die durch das Wasser der Jeetzel angetrieben wurde. Ein letztes Überbleibsel ist die an der Burgmühlenjeetzel befindliche, allerdings mehrfach umgebaute Schleuse. Die Burgmühle ist anscheinend nur kurze Zeit in Benutzung gewesen, denn bereits im 16. Jahrhundert werden die übrigen fiskalischen Wassermühlen und die beiden Windmühlen am Kolborner Wege und am Glockenberge erwähnt, während die Burgmühle nicht mehr genannt wird. Sie wird unter Wassermangel zu leiden gehabt haben. Innerhalb der Schloßfreiheit lag auch die Burgschmiede, nach welcher die Schmiedestraße ihren Namen erhalten hat.

Die Kalandstraße gehörte ebenfalls zur Amtsfreiheit; ihr Name erinnert an die Kaland-Brüderschaften. Ob diese hier ihren Wohnsitz hatten, ist nicht mehr festzustellen. Ein Vermögensteil des Kalands ist noch vorhanden.

Die heutige Kirchstraße wird der ursprüngliche Weg zur Kirche gewesen sein. Er führte an dem Glockenturm und der dahinter liegenden Kapelle vorbei über den Friedhof nach der St. Johanniskirche. Dieser Friedhof vor der Kirche ist bis etwa 1810 in Benutzung gewesen. Die heutige Zugangsstraße zur Kirche, die Johannisstraße (nach der Kirche benannt), ist erst nach 1811 angelegt. Die Mauerstraße und die Wallstraße erinnern an die alten Befestigungsanlagen der Burg zu Lüchow. Der "Wall", die heutige Wallstraße, hatte zu beiden Seiten Gräben, die das Wasser aus der Drawehner Vorstadt in die Jeetzel führten.

Die eigentliche Stadt Lüchow war westlich und östlich durch die Jeetzel und die hier stehenden Tor- und Zollhäuser begrenzt. Sie wurde von der Langen Straße durchzogen. Etwas unklar ist es, woher die Namen Rosenstraße, Badestraße und Lappstraße stammen. Es kann sein, daß die Rosenstraße vor ihrer Anlage zu den Gärten gehört hat, die noch heute an der Nordseite unserer Stadt vorhanden sind und vielleicht Rosenkulturen gehabt haben; es ist aber auch möglich, daß sich der Name auf einen Bürger Namens Rose bezieht, wie das z. B. bei neueren Straßennamen der Fall ist. Die Badestraße mag eine Zugangsstraße zu einer Badegelegenheit an der Jeetzel gewesen sein.

Die Drawehnerstraße hat ihren Namen von der Vorstadt Drawehn. Sie ging ursprünglich bis zur Drawehnerjeetzel. Erst mit der Eingemeindung dieses Ortsteils wurde die Langestraße für den Teil bis zur Schützenplatzallee eingeführt. Die Bleicherstraße hat ihren Namen nach der Bleichwiese. Sie war bis 1840 unbebaut und das Gelände diente den zahlreichen Leinewebern zur Bleiche. Die Drawehner Vorstadt hatte einen eigenen Friedhof, der bis zum Jahre 1812 benutzt wurde. Er lag an der Stelle, wo heute das Armenhau» steht. Das Gelände, sowohl wie das Armenhaus gehören dem Stift St. Georg. Hieraus sind die Bezeichnungen St. Georgsstraße und St. Georgshof zu erklären. Die übrigen Straßen des ehemaligen Drawehner Ortsteils sind neueren Datums. Es sind diese: Schützenstraße, Hindenburgstraße, Gusestraße (benannt nach dem Bürgermeister Hermann), Lübelnerstraße und Weyhestraße (benannt nach der Weyhestiftung).

Der östliche Stadtteil, der Salzwedeler Koreitz, wurde in seiner ganzen Länge von der Bergstraße durchzogen. Auch sie hat einen Teil für die Bezeichnung "Lange Straße" hergeben müssen. Die Bergstraße mit ihren Abzweigungen ist die einzige Straße unserer Stadt, die nicht durch Aufhöhungen entstanden ist. Der ganze innere Ortsteil, wie auch die Drawehner Vorstadt, sind erst durch Jahrhunderte dauernde Dammbauten aus der Jeetzelniederung herausgewachsen. Im Zuge der Langen Straße ist bei Fundamentbauten eine künstliche Aufschüttung bis zu 4 Metern festgestellt. An der südlichen Grenze der Salzwedeler Vorstadt lagen der von Dannenberg'sche Gutshof, das Amt (Amtshof) und das fiskalische Vorwerk, beide zur Amtsfreiheit gehörend. "v. Dannenberg’s" Gang' hat seinen Namen von dem ehemaligen Gutsherrn. Die heutige Tarmitzerstraße und Salzwedelerstraße hießen früher Tarmitzer bzw. Salzwedeler Stegel.

Die "Neue Straße" ist etwa 1850 angelegt und hat erst sehr viel später eine Befestigung durch Pflaster erhalten. Nicht unerwähnt soll bleiben, dass in der Neuenstraße früher ein Brunnen war, der das beste Wasser in ganz Lüchow hergab. Neueren Datums sind die Straßen Am Bahnhof, Am Glockenberg, Carl Schultzstraße (benannt nach dem Carl Schultz-Legat), Colbornerstraße, Gartenstraße, Mittelstraße, Tarmitzerstraße und Senator Wentz und Senator Sandhagenstraße (benannt nach den verdienten Senatoren Emil Wentz und Apothekenbesitzer Ernst Sandhagen. Zu erwähnen wäre noch die Reeperbahn, eine schmale Parallelstraße zur Bergstraße. Sie diente ehemals den Reepern (Seilern) als Arbeitsplatz zur Herstellung von Bindfäden und Stricken.

Die Entwicklung der Stadt Lüchow und ihres Straßennetzes ist, entsprechend der geringen Vermehrung der Einwohnerzahl, nur langsam vor sich gegangen. Immerhin verfügt Lüchow über weitverzweigte und sehr gut angelegte Straßen, die auf jeden fremden Besucher den besten Eindruck machen und der Stadt den Anschein geben, als habe sie statt 3000 Einwohner etwa die doppelte Zahl."
Archiv-ID: 5301240
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