Die Flucht des Schiffers Paul Fischer in den Westen im Jahr 1959

Von Mitte Juni bis Mitte September 1959 dauerten die Ereignisse um die aufwändige Flucht mit dem Motorschiff "Luise" aus der sowjetischen Besatzungszone in den Westen. Die EJZ berichtete mehrfach darüber. Es begann am 16. Juni 1959:

"Auch MS "Luise" gelang die Flucht
Seit Sonntagnacht in Gorleben am Ufer — Holzladung aus Mecklenburg

Gorleben. Am Sonntag gegen 23 Uhr gelang wieder einem Schiffer aus der Zone die Flucht mit seinem Motorschiff in einen westdeutschen Hafen. Im Schutz der Dunkelheit lenkte der 55 Jahre alte Schiffer Paul Fischer aus Rathenow sein 237 Tonnen großes Frachtschiff "Luise" zum Hafen von Gorleben, hatte wegen des niedrigen Wasserstandes zunächst Schwierigkeiten beim Einlaufen, kam aber dann frei und ließ am Gorleber Ufer den Anker nieder.

Fischer, der um Aufnahme in die Bundesrepublik bat, ist einer der wenigen mitteldeutschen Schiffer, die noch Schiffseigentümer sind. Die Drangsalierungen gegen diese Schiffseigentümer werden immer härter. Sie sollen ihre Fahrzeuge der Schiffahrtsorganisation der Zone übergeben. Hier hat wieder einer sein Eigentum nach Westen in Sicherheit gebracht. Schon als das Motorschiff „Kurier“ im Spätsommer vorigen Jahres nach Westen, ebenfalls nach Gorleben, floh, hatte Fischer mit von der Partie sein wollen. Aber dann hielt ein Motorschaden seine „Luise“ in Wittenberge fest, und der „Kurier“ ging allein auf die Fahrt in die Sicherheit. Jetzt gelang auch Fischer mit "Luise" der Fluchtplan. Noch unterwegs überholte ein ostzonales Kontrollschiff den Frachter, aber es entfernte sich zu Fischers Glück. Die "Luise" kam mit einer Ladung Kiefernfaserholz von Mecklenburg her elbaufwärts. Die Ladung war für den „Volkseigenen Betrieb Zellwolle“ in Wittenberge bestimmt, sie wird wahrscheinlich den Rest der Fahrt auf dem Landwege zurücklegen müssen, auf welche Weise, darüber wird es wohl Verhandlungen zwischen Deutsch-Ost und -West geben.Das Schiff „Luise“ muß im Gorleber Hafen Hochwasser abwarten, damit man es auf Land setzen, wie weiland seine Vorgänger in zwei Teile schneiden und auf dem Landwege in Richtung Artlenburg transportieren kann. Im ungefährdeten Teil der Elbe kann "Luise" dann wiedervereinigt und zu Wasser gelassen werden.
Vor dem "Kurier" hatte schon das Motorschiff "Otto" in Gorleben einmal diesen Landweg angetreten. Langsam bekommen die Tieflader-Transport-Mannschaften. die diese Land-Transporte bewerkstelligen, Routine im Schiffstransport.
Der Bruder des Schiffers ist bereits im vorigen Sommer mit seinem Schiff "Karl" bei Lauenburg im Westen geblieben. Seitdem hatte man bei den Zonenbehörden ein besonderes Augenmerk auf Paul Fischer und ließ ihn möglichst nur in den Zonengewässern fahren. Aber diesmal, mit einer Ladung aus Malchow, glückte ihm doch der Absprung. Das Schiff "Luise", an dessen Bord sich die Eheleute Fischer aus Lychen, Kreis Templin, und ein junger Verwandter befinden, ist 1914 erbaut und wird vom Eigentümer auf einen Wert von 60 000 Mark geschätzt. Fischer wird sich nun während der erzwungenen Ruhepause erst einmal im Notaufnahmelager Uelzen-Bohldamm registrieren lassen."
Die "Luise" ankerte mit ihrer Holzladung im Hafengebiet von Gorleben. Ein fast identisches Foto von Herrn Reinhold erschien am 18. Juni 1959 in der EJZ. Diese Aufnahme stammt von Kurt Schmidt.
Am 26. Juni 1959 wurde diese Aufnahme mit folgendem Text veröffentlicht:

"DIE HOLZLADUNG DES GEFLÜCHTETEN MOTORSCHIFFES "LUISE", das seit dem 15. Juni im Hafen von Gorleben liegt, wurde gestern auf ein sowjetzonales volkseigenes Schiff umgeladen und soll nun auf dem Wasserwege seinen Bestimmungshafen Wittenberge erreichen. Das Kiefernfaserholz, das Schiffer Fischer vor zehn Tagen mit seiner "Luise" für den "Volkseigenen Betrieb Zellwolle" von Mecklenburg nach Wittenberge transportieren sollte, wurde vom Hauptzollamt Uelzen freigegeben.

Nach Verhandlungen zwischen Ost und West wurde am Mittwoch ein Lastkahn, geführt von einem Ostberliner Schiffer, zur Übernahme der Ladung in den Hafen von Gorleben geschleppt. Gestern brachte ein Schlepper neun Arbeiter aus der Zone herüber, die das Holz umzuladen hatten. Zum ersten Male erfolgt die Übernahme einer Sowjetzonen-Fracht in einem westdeutschen Elbhafen. Die bisher geflüchteten Schiffe hatten keine Ladung an Bord. Während der Arbeiten bewachten zwei Zollgrenzdienst-Beamte das geflüchtete Motorschiff "Luise". Aufn: K. Schmidt."
Es dauerte fast 6 Wochen, bis es mit der "Luise" weiter ging. Die EJZ vom 6. August 1958 berichtete:

"Gorleben. Nun hat auch für das vor einigen Wochen aus der Zone in den Gorleber Hafen geflüchtete Motorschiff "Luise" die Abschiedsstunde von Gorleben geschlagen und es wird das nasse Element kurzfristig verlassen müssen. Am Dienstag traf ein Lübecker Unternehmer mit einem Kranwagen und Aufschleppmaterial ein, um das Schiff aufs Trockene zu setzen. Nach dem Trennen des Schiffsrumpfes wird die "Luise" dann per Land von Gorleben nach Lauenburg und weiter zur Werft gebracht, um dort unter fachkundigen Händen wieder zu einer schwimmenden Einheit zu werden."

Am 24. August erfuhr der Leser der EJZ von Problemen beim geplanten Transport über Land:

"Luise" macht Schwierigkeiten
Gorleben. Das aus der Sowjetzone geflüchtete Motorschiff "Luise" soil in Kürze über Land abtransportiert werden. Das Schiff wurde bereits aus dem Wasser gehoben und auf Land gesetzt und von einer Lübecker Transportfirma, in zwei Teile zerschnitten, aufgeladen. Der für den Abtransport angesetzte Termin an den letzten Tagen der vergangenen Woche konnte nicht eingehalten werden, nachdem sich herausgestellt hatte, daß der Schiffskörper nicht sicher genug auf dem Tieflader befestigt werden konnte. Das Schiff mußte wieder abgeladen werden. Am heutigen Montag will die Lübecker Firma mit einem anderen Transportfahrzeug in Gorleben aufkreuzen und das Schiff neu verladen. Wann der Abtransport nun erfolgen wird, ist noch ungewiß."


Dieses Foto erschien am 28. August 1959 in der EJZ mit der Bildunterschrift:

"IN ZWEI TEILE ZERLEGT, liegt das Motorschiff „Luise“ in Gorleben auf Land und wartet auf den Abtransport, der demnächst durchgeführt werden soll. Sein Besitzer hatte es seinerzeit in den Hafen von Gorleben gesteuert und war auf diese Weise aus der Zone in die Bundesrepublik geflohen. Das Schiff wird nun wie schon manches andere elbabwärts auf dem Landwege nach Lauenburg gebracht werden.
Aufn: K. Schmidt."
Diese zusätzliche Einstellung wurde seinerzeit nicht veröffentlicht.
Wiederum fast 14 Tage später hat es geklappt: EJZ vom 9. September 1959:

"Luise" fuhr auf Rädern
Endlich klappte der Transport — In Millimeterarbeit durch die Kurve

Lüchow. Gestern morgen konnte endlich das Vorderschiff des Motorschiffes "Luise“, das seit dem 14. Juni im Hafen vor Gorleben lag, nachdem sein Eigentümer Paul Fischer aus Rathenow bei einer Fahrt zwischen Dömitz und Wittenberge nachts sich samt Schiff dorthin geflüchtet hatte, auf einem Spezialtransportfahrzeug der Bundesbahn abtransportiert werden. Ende der Woche soll das Achterschiff der "Luise“ folgen. In Hoopte werden beide Schiffsteile wieder gewassert, um dann bei einer Werft die "Wiedervereinigung“ vorzunehmen.
Ein Pulk von Polizeifahrzeugen und Motorradfahrern mußte den Verkehr von Gorleben ab für den Transport räumen oder zeitweilig sperren, denn der massige Schiffsrumpf auf dem "Culemeyer“-Fahrzeug nahm mit seiner Breite von 4,60 Metern die ganze Fahrbahn ein und glitt mit seiner Höhe von 4 Metern so eben unter den Baumkronen dahin, wenn sie nicht hin und wieder beiseite gezogen werden mußten. 35 Tonnen wog das Anhängsel hinter der Zugmaschine der Bundesbahn, die sich im Tempo von 5—10 Kilometern je Stunde über die Straßen bewegte.

Am heutigen Mittwoch gegen 10 Uhr soll der erste Teil dieses Überlandtransportes, der hierzulande nun schon keine Seltenheit mehr darstellt, nachdem schon diverse Schiffe, die aus der Zone geflohen waren, auf diese Weise abgefahren worden sind, in Hoopte an der Elbe eintreffen, wo er sofort zu Wasser gelassen wird. Die Bundesbahnfahrzeuge kehren dann nach Gorleben zurück und holen den zweiten Schiffsteil, dessen Transport noch etwas komplizierter sein wird, da das Heck rnit seinen Aufbauten noch um fast einen Meter höher ist als das Vorderschiff.

Der Abtransport von Gorleben vollzog sich diesmal reibungslos. Schon einmal hatte man die "Luise“ auf einen Straßenroller aufgeladen, doch dessen Zugmaschine schaffte es nicht, die Last vom Gorlebener Hafen auf die feste Straße zu ziehen. So mußte das Schiff wieder abgeladen und die Bundesbahn mit schwereren Fahrzeugen und zwei Zugmaschinen heranzitiert werden. Über Gartow - Trebel rollte die Fuhre, die am Montag aufgeladen worden war, nach Lüchow und mußte dort in Millimeterarbeit um die engen Kurven in die Mauerstraße und Lange Straße geschleust werden, da eine gerade Fahrt durch die Wallstraße wegen der geringen Tragfähigkeit der Brücken nicht möglich war. Deswegen konnte auch die Fahrt nicht geradeaus über Rosche nach Uelzen weitergehen, sondern mußte über Clenze -Spithal umgeleitet werden. hlr.
und weiter in der EJZ am 12. September 1959:

"Luise" — 2. Teil

Lüchow. Auf demselben Wege wie der Bug wurde am Freitag" das Heck des Motorkahnes "Luise“ von Gorleben auf dem Landweg nach Hoopte gefahren, wo beide Teile auf einer Werft wieder zusammengesetzt werden sollen. Der mit seinem Elbschiff aus der Zone geflüchtete Schiffer wird sich nun in Hamburger Schifffahrtskreisen um Eingliederung in den westlichen Schiffsbetrieb bemühen.
Der Schwertransport verlässte Lüchow in Richtung Clenze.
Archiv-ID: 5262577
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