Der Nienhofer Forst bei Küsten

Geologisch-morphologische Beobachtungen in einem Flugsandgebiet

Beitrag im 1. Jahresheft des Heimatkundlichen Arbeitskreises Lüchow-Dannenberg (HALD), 1969

Autor: Ulrich Schröder
1. Der Naturraum Nienhofer Forst

Wer von Lüchow aus in Richtung Uelzen fährt, durchquert zunächst Grünlandniederungen und offene Ackerflächen. Gleich hinter Küsten gelangt er jedoch in eine völlig andersartige Landschaft. Einförmiger Kieferwald begleitet die Straße auf beiden Seiten über eine Strecke von 3 km, bis sich bei Salderatzen ebenso unvermittelt der Blickwinkel wieder öffnet.

Die Karte läßt uns diese Eigentümlichkeit noch besser erkennen: inmitten der dichtbesiedelten, landwirtschaftlich genutzten Niederen Geest zwischen der Jeetzelniederung im Osten und den Endmoränenzügen am Westrand des Kreises erstreckt sich ein siedlungsleeres Nadelwaldgebiet, das auf der Topographischen Karte 1:25 000 den Namen „Nienhofer Forst“ trägt (Abb. 1).
Der Grund für den besonderen Charakter dieser Landschaft liegt in ihren geologischen Verhältnissen: die Grundmoräne ist hier weitflächig von Flugsand überdeckt. Augenfällig zeigt sich dies an den Oberflächenformen. Insbesondere der Nordostteil des Waldgebietes besteht aus zahllosen ausgeprägten Dünen. In den Dünentälern liegt häufig der glaziale Untergrund frei. Die Geschiebe an der Oberfläche sind hier vom Sandstrahlgebläse des Windes bearbeitet worden. Auf umgepflügten Kahlschlägen oder in frisch angelegten Schonungen kann man schöne Exemplare solcher Windkanter in Mengen auflesen. Im südlichen und südwestlichen Teil des Forstes liegen, eingestreut in den Kiefernwald, kleine, teils vermoorte, teils wassergefüllte flache Mulden. Das sind Erosionsformen des Windes, sogenannte Deflationswannen, wie sie z. B. auch im Dünengebiet westlich von Gartow auftreten.Entsprechend dem Wechsel in Oberflächenformen, hydrographischen Verhältnissen und anstehenden Lockergesteinen zeigt auch die Pflanzendecke ein durchaus diffe-renzierteres Bild, als es bei oberflächlicher Betrachtung erscheint.

2. Ausgewählte Einzelformen

a) Dünen
Kartenbild und Geländeuntersuchung weisen den Nordostteil des Waldgebietes als den Bereich mit den ausgeprägtesten Dünenformen aus. Die Topographische Karte 1:25 000 zeigt hier eine Unzahl kleiner Bodenerhebungen, teils als allseitig abfallende Hügel, teils als langgestreckte Rücken. Irrtümlich haben die Kartographen diese Erscheinungen als Hügelgräber gedeutet und entsprechend beschriftet. Ein Vergleich mit bronzezeitlichen Hügelgräberfeldern zeigt aber prägnante Unterschiede. Grabhügel sind im wesentlichen gleich groß und regelmäßig rund mit gleichem Böschungswinkel nach allen Seiten. Die Erhebungen im Nienhofer Forst hingegen sind von sehr verschiedener Größe und Form und haben meistens einen asymmetrischen Querschnitt.

Abb. 2 zeigt eine solche Düne im Profil.
Der flache Luv- und steile Leehang lassen Rückschlüsse auf die ehemals vorherrschende Windrichtung zu: Südsüdwest. Tatsächlich liegen ja die meisten Abtragungsformen (Deflationswannen) südlich und südwestlich des Hauptaufschüttungsgebietes.

Der glaziale Untergrund in Abb. 2 ist nicht eben, sondern zeigt unter der Düne eine ausgeprägte Welle, in deren Windschatten wahrscheinlich die erste Sandablagerung erfolgt ist, die dann allmählich zur heutigen Form emporwuchs. Insgesamt ist die Entstehungsgeschichte dieser Dünen aber komplizierter. Das beweisen Aufschlüsse wie in der Skizze bei Abb. 2. Unter der oberen Flugsandschicht ist eine ältere Oberfläche auszumachen, die über sehr lange Zeit unverändert geblieben sein muß. Denn unter dem alten Rohhumushorizont folgen ein ausgeprägter Bleichhorizont und ein Anreicherungshorizont aus sehr festem Ortstein.

Hier tritt die Frage nach dem Alter und damit nach der erdgeschichtlichen Zuordnung der Dünen auf. Die Binnendünen des norddeutschen Vereisungsgebietes entstanden gegen Ende der letzten Eiszeit, als im Vorfeld des zurückweichenden Inlandeises die vegetationslosen Moränen- und Schmelzwassersande dem Wind ausgesetzt waren. In gewaltigem Umfang erfolgte die Dünenbildung auf den Talsanden der Urstromtäler und auf den Sanderebenen. Das schönste Beispiel unseres Kreises für eine dünenbedeckte Talsandfläche bietet der Ostteil des Gartower Forstes. Aber auch auf sandigen Moränenböden haben sich Dünen gebildet.

Nach der Eiszeit bedeckten sich die Sandflächen mit Vegetation, meist mit lichtem Wald aus anspruchsloseren Baumarten. Aus den „lebenden“ Wanderdünen wurden „fossile“, festliegende Dünen. Später ging die Waldbedeckung auf großen Flächen wieder verloren, nicht zuletzt aufgrund des Raubbaues durch den Menschen. Heide breitete sich aus. In jener Zeit entstand das Bleichsand-Ortstein-Profil, das kennzeichnend für unsere Heideböden ist. Mancherorts wurde schließlich auch der Heidebewuchs zerstört, so daß der ungeschützte Sand wieder dem Winde preisgegeben war. Die fossilen Dünen wurden wieder rezent. Dieser Zustand währte nur relativ kurz. Im vorigen Jahrhundert, zum Teil auch schon früher, fing man an, die Heidegebiete mit Kiefern aufzuforsten. Damit waren die Dünen erneut festgelegt.

Die ganze Abfolge dieser erdgeschichtlichen Entwicklung läßt sich in Aufschlüssen wie in Abb. 2 gut ablesen.

b) Ausblasungsformen

Wo der Wind den Sand aufhäuft zu Dünen, muß er ihn andernorts forttragen. Je nach Stärke des Windes und Korngröße des Sandes kann die Entfernung zwischen Abtragungsort und Aufschüttungsgebiet unterschiedlich sein. Im Nienhofer Forst liegen beide, Erosions- und Akkumulationsformen, nahe beieinander (1-3 km voneinander entfernt).

Bei seiner abtragenden Tätigkeit hat der Wind hier zahlreiche Hohlformen geschaffen: flache, runde oder längliche Wannen von 30, 50 oder 100 m Durchmesser. Einige sind heute von kleinen Tümpeln ausgefüllt, die an ihrem Rande bereits stark verlandet sind, andere sind bereits vollständig vermoort. Die ermittelte Mächtigkeit des Torfes beträgt nirgends mehr als 1,20 m, meist erheblich weniger.

In den vollständig vermoorten Wannen zeigt die Oberfläche heute das Bild von Hochmooren: geschlossener Sphagnumrasen, z. T. von Binsen und Seggen überzogen, dazwischen Wollgras (Eriophorum polystachium) und Sonnentaukolonien (Drosera rotundifolia). Anflugwald kann sich nicht weiterentwickeln, da die Kiefern oder Birken bereits jung absterben. Offenkundig wächst das Moor also in die Höhe. Es fehlt jedoch die für Hochmoore typische flache Wölbung der Oberfläche, wenn diese auch keineswegs völlig eben ist.

Die wassergefüllten Mulden sind von ausgeprägten Verlandungszonen mit den typischen Pflanzengesellschaften gesäumt. Bemerkenswert ist hier das gehäufte Auftreten der geschützten Calla palustris, die z. T. geschlossene Flächen überzieht.

Vielleicht sind die offenen Wasserflächen als Primärzustand der Deflationswannen zu deuten. In ihnen bildeten sich durch Verlandung zunächst Flachmoore, die dann in einzelnen Fällen bereits in Hochmoore übergegangen sind. Um diese Frage zu klären, bedarf es jedoch einer genauen Analyse des Torfes in verschiedener Tiefenlage, sowie einer Untersuchung der hydrographischen Verhältnisse: hat sich in den Mulden einfach nur Niederschlagswasser gesammelt oder treten hier Grundwasserhorizonte aus?

Der Nienhofer Forst bietet noch ein weites Forschungsfeld für den Geologen und den Botaniker.

3. Eine schützenswerte Landschaft

Der Nienhofer Forst bildet eine naturräumliche Einheit, in der interessante Zusammenhänge zwischen geologischen Verhältnissen, Oberflächenformen und Vegetation beobachtet werden können. Die noch unberührten Moore zeigen Pflanzengesellschaften, die in ihrem Artenreichtum und ihrer Vollständigkeit in der näheren und weiteren Umgebung nicht ihresgleichen finden. Den Dünen droht kaum Gefahr; sie liegen geschützt unter Kiefernwald. Anders ist es mit den Mooren. Geringe Veränderungen im Wasserhaushalt — etwa durch die Anlage von Gräben — würden sofort einschneidende Veränderungen des Pflanzenlebens mit sich bringen. Das beweist ein Fall, in dem bereits Entwässerungsgräben gezogen wurden. Anflugwald breitet sich dort aus, Moorpflanzen sind fast vollständig verschwunden, und in wenigen Jahren wird man nur noch mit dem Spaten feststellen können, wo das Moor gelegen hat. Wirtschaftlich gesehen wäre die Entwässerung absolut unsinnig.

Bei der geringen Ausdehnung der Moore würde der Nutzen in keinem vernünftigen Verhältnis zum Aufwand stehen.

Vom Menschen unberührte Landschaftsteile sind im dichtbesiedelten Mitteleuropa derartig selten geworden, daß es gilt, die wenigen Reste zu schützen, wenn nicht ganz schwerwiegende Gründe dagegen sprechen. Ich schlage daher vor, das Gebiet des Nienhofer Forstes in seiner gesamten Ausdehnung unter Landschaftsschutz zu stellen.
QUELLEN:

Neef, E. (Hrsg.): Das Gesicht der Erde. Frankfurt a. M. 1962.
Panzer, W.: Geomorphologie. Braunschweig 1965.
Schrader, E.: Die Landschaften Niedersachsens. Bau, Bild u. Deutung d. Ldschft.
Ein topographischer Atlas. 3. Aufl. Hannover 1965.
Topographische Karte 1 : 25 000, Blatt 3032 Lüchow.
Topographische Karte 1 : 50 000, Blatt 3132 Salzwedel.
Lehrer U. Schröder, 3132 Clenze, Hermann-Meyer-Straße 4
Archiv-ID: 4521610
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