Dannenberger Flusspiraten

Dannenberger Flusspiraten
Hochwassereinsatz und andere Aktivitäten einer Jugendgruppe in den Nachkriegsjahren 1946-1950

(von Johannes E. Baumgarten; Übernahme ins Wendland-Archiv: Burghard Kulow)

Die Dannenberger Flußpiraten waren eine Jugendgruppe, die nach dem katastrophalen Winterhochwasser im Jahre 1946 gegründet wurde.
Den Vorsitz übernahm Georg Bachmann, erster Bootsbauer war Heinrich Schröder, ein Landmaschinenbauer. Nach seinen Entwürfen wurden alle Boote der Dannenberger Flußpiraten in Eigenfertigung gebaut.
Bereits vor der Gründung der Jugendgruppe wurden die Dannenberger Flußpiraten zusammen mit arbeitslosen Männern beim Hochwasser 1946 als Freiwillige eingesetzt, um mit Wasserwehrkähnen (Ruderbooten) Milch und Sahne aus den vom Hochwasser abgeschnittenen Orten nördlich Dannenbergs von Grabau, Niendorf und Wussegel sowie südlich davon von Bückau, Prabstorf und Klein Heide zur Molkerei Dannenberg zu transportieren. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie wir damals durch ungünstige Winde in der Nähe von Wussegel abgetrieben wurden und fast auf dem Gebiet der Ostzone bei Gösewerder/Strachau strandeten. Die Einsätze waren nicht nur abenteuerlich, sondern auch lebensgefährlich.

Der Einsatz bei Winterhochwasser hatte uns zusammengeschweißt. Wir gründeten die Jugendgruppe „Dannenberger Flusspiraten“ und begannen mit dem Bau von Paddelbooten. Die damaligen Town Major Oberstleutnant Hiscocks und Kreisjugendpfleger Otto Denstedt unterstützten unsere Arbeit, auch um uns umzuerziehen. So wurden z. B. Ersatztankbehälter von Flugzeugen und Aluminium-Bleche aus Beständen des Flughafens Lüneburg durch diese Sponsoren angeliefert, die wir für den Paddelbootsbau benötigten.
Schon im Sommer 1946 fand an der Jeetzel auf dem Schulhof ein für Dannenberger Verhältnisse außergewöhnlicher Stapellauf statt. Einige Boote der Dannenberger Flusspiraten wurden in die Fluten der Jeetzel gerutscht. Dies waren folgende Paddelboote:
Neptun, ein Zweier-Paddelboot, das aus zwei Ersatztankbehältern zusammengeschweißt wurde. Besitzer Dietrich Gutzmer.
Nixe, ein Zweier-Paddelboot aus Holz und Aluminiumblechabdeckung. Besitzer Karl-Heinz Pengel.
Wasserfloh, ein zum Einsitzer-Paddelboot ausgebauter Flugzeugtank. Besitzer (Jo)Hannes Baumgarten.

Dabei auch Sportlehrer Hans Hartig und Frau beim Stapellauf der Dannenberger Flusspiraten 1946.
Zum Stapellauf waren viele Dannenberger Bürger aus Politik, Kultur und Sport sowie auch zahlreiche jugendliche Fans erschienen. Die Dannenberger Flusspiraten tragen strahlend weiße Oberhemden. Die Zeremonie des Stapellaufs übernahm der Town Major Oberstleutnant Hiscocks. Seine Worte wurden von einer Dolmetscherin ins Deutsche übersetzt.
Die zu taufenden Paddelboote „Nixe“ und „Neptun“ mit Town Major und Dolmetscherin sowie Dannenberger Bürger.
Stapellauf bei den Dannenberger Flusspiraten. Am Pult Georg Bachmann daneben in weißen Oberhemden die Dannenberger Flusspiraten. Joh. Baumgartens „Wasserfloh“ nur Paddel, Heck mit Sitz sichtbar.
Im Jahre 1947 wurde die Jeetzelniederung erneut von einem Winterhochwasser heimgesucht. Die Dannenberger Flusspiraten hatten wieder die dankbare Aufgabe - unterstützt von arbeitslosen Männern - von den vom Hochwasser eingeschlossenen Ortschaften nördlich und südlich Dannenbergs Milch und Sahne zur Molkerei Dannenberg zu transportieren. Diesmal nicht mit Hilfe der alten Wasserwehrkähne, sondern mit einem von der Militärregierung zur Verfügung gestellten "Schleppzug", der aus Motorboot und zusammenklappbarer Schute als Beiboot bestand. Ich kann mich noch gut an folgende Begebenheit erinnern. Wir befuhren die Südroute Bückau, Prabstorf und Klein Heide und hatten Milch und Sahne in mehreren Kannen geladen. Alle Kannen befanden sich im Beiboot. Bei der Einfahrt in die Mühlenjeetzel geriet der Schleppkahn gegen einen von uns nicht zu erkennenden Koppelpfahl. In das Beiboot wurde ein kopfgroßes Loch geschlagen. Sofort drang Wasser ein. Wir konnten die meisten Milch- und Sahnekannen und uns selber in das Motorboot retten. Im Motorboot und den geretteten Milchkannen sowie dem defekten Beiboot im Schlepp setzten wir unsere Fahrt zur Molkerei fort, die auch an der Mühlenjeetzel in Dannenberg lag. Leider mussten wir 8-10 Kannen dem "blanken Hans" überlassen. Wenn sie nicht geborgen wurden, so liegen sie noch heute in der Mühlenjeetzel.
Karl-Heinz Pengel und Willi Wegener mit ihrer NIXE beim Stapellauf auf der Jeetzel, ein britischer Offizier und Georg Bachmann, 1. Vorsitzender der Dannenberger Flusspiraten, hält des Boot am Seil!
Town Major Oberstleutnant Hiscocks mit Dolmetscherin bei der Taufe ´46. „Nixe“ noch nicht im Wasser!
Jedes Jahr einige Woche vor Pfingsten ließen wir unsere Paddelboote zu Wasser. Sie wurden an einem schwimmenden Anleger oberhalb der Dannenberger Kolkbrücke auf der linken Seite der Jeetzel festgemacht. In den Jahren 1946 bis 1950 fuhren wir in einem Geleitzug die Jeetzel abwärts bis Hitzacker und weiter auf der Elbe nach Drethem. Hier schlugen wir Zelte auf und übernachteten am Elbufer. In Drethem nahmen wir an den kulturellen Veranstaltungen des Dorfes teil. Dazu gehörten auch Tanzvergnügen.
Bei der Rückfahrt am Pfingsmontag bestellten wir das Bootsunternehmen Haul, Hitzacker, das uns mit einem Motorboot bis zur Jeetzelmündung in Schlepp nahm. Von hier mussten wir uns kräftig anstrengen, um die ca. 10 km gegen die Strömung auf der Jeetzel bis Dannenberg zu paddeln. Manchmal haben uns Westwinde durch Setzen unserer Segel die Rückfahrt erleichtert. Einige verwegene Dannenberger Flusspiraten paddelten in den Sommerferien Jeetzel und Elbe abwärts bis Lauenburg und von dort im Elbe-Travekanal bis Lübeck zur Ostsee. Nach einigen sonnigen Urlaubswochen an der Ostsee ging es flussaufwärts wieder zurück - nicht sehr erholsam.
Wie bereits anfangs erwähnt, bestand die Jugendgruppe „Dannenberger Flusspiraten“ aus dem Vorsitzenden Georg Bachmann und dem "Bootsbauingenieur" Heinrich Schröder.In meiner Erinnerung waren noch folgende Dannenberger Mitglieder dabei:
Dietrich (Lobzog) Gutzmer,
Karl-Heinz Pengel (Püster),
Axel und Harald Piepjorke,
Friedrich Teschke (Frescheberg),
Willi (Zille) und Helmut Wegener,
Dieter und (Jo)Hannes Baumgarten.
Dazu noch viele andere, an deren Namen ich mich leider nicht mehr erinnern kann.
Szenen, wie die Dannenberger Flusspiraten mit ihren Booten an Land hantierten und diese „seeklar“ machten. Dabei wurden auch schon einmal die Segel gesetzt, wenn kein Wind uns daran hinderte.
Auch mein Bruder Dieter Baumgarten und ich haben uns ein Zweier-Paddelboot gebaut, nachdem uns unser Einsitzer gestohlen wurde. Die Seiten- und Bodenbretter kauften wir für 27,00 RM (Reichsmark) bei der Tischlerei Linde in Nebenstedt. Die beiden erforderlichen Spanten hat uns unser Nachbar, Tischlermeister Lembke vom Markt 11 in Dannenberg, bei der Möbelfabrik Ordas gefertigt. Die erforderlichen Aluminiumdeckplatten hat uns Heinrich Schröder zurechtgeschnitten. Wir erwarben sie durch Tausch unserer Spielzeugeisenbahn einschließlich Schienen von Eckhart Krage, einem "Jugendfreund" von der Bahnhofstraße.
Der Bau unserer "Forelle", so wurde unser Zweierpaddelboot später getauft, fand auf dem Boden von Garage und Hühnerstall auf dem Gelände der damaligen Landwirtschaftsschule, Bahnhofstraße 7, statt. Wir ließen uns einige Zeit. Aber zur Währungsreform 1948 war unser Wasserfahrzeug fahrbereit. Stapelläufe fanden zu der Zeit nicht mehr im großen Rahmen mit Town Major statt.

Viele schöne Stunden haben wir in unserer Jugendzeit auf dem Wasser der Jeetzel und bei Hochwasser auf überschwemmten Flächen mit Paddeln, Segeln und auch beim Hochwassereinsatz erlebt. Wir möchten diese Zeit nicht missen. Es war eine an Erlebnissen reiche Zeit bei den „Dannenberger Flusspiraten“.

     Johannes Baumgarten im Juli 2015
Archiv-ID: 5243542
Kommentare
Rolf und Marlies Scharf 21.04.2024
Sehr schöne Erinnerungen, gut beschrieben. Wenn auch die Nachkriegszeit, noch dazu mit Winterhochwasser, auch Westdeutschland nicht immer leicht waren.
Karl-Ernst Mittendorf 18.08.2024
Einige kennen mich vielleicht noch unter dem Spitznamen "Meetschow". Ich kann mich erinnern, wie ich wehmütig auf der Jeetzelbrücke stand und die Boote der Flusspiraten bewundert habe. Ich selber bin erst 1949 zu einem Boot gekommen. Die nötigen Bretter habe ich beim Abbruch einer Jagdhütte, die mein Vater gekauft hatte, erworben. Es ist immer wieder schön, dass sich Leute finden, die solche und ähnliche Begebenheiten festhalten.
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