Dannenberg - Bombenangriff am 22. Februar 1945

Aus "Hannoversches Wendland", 5. Jahresheft des Heimatkundlichen Arbeitskreises Lüchow-Dannenberg 1974/1975 von Gerd Dammann

(Die im folgenden Artikel erwähnte Karte und die Fotos werden noch eingepflegt.)

Der Bombenangriff auf Dannenberg vor 30 Jahren

Vor 30 Jahren, am 8. Mai 1945, endete der zweite Weltkrieg und kurz davor, am 22. Februar 1945, erlebte Dannenberg durch einen Bombenangriff einen der schwärzesten Tage seiner 800jährigen Geschichte.

Bei einem Vergleich der Bombenangriffe an diesem Tage — es wurden außer Dannenberg noch Uelzen, Salzwedel, Stendal, Lüneburg und Celle angegriffen — hat die Stadt Dannenberg prozentual die meiste Zivilbevölkerung verloren. Es waren insgesamt 87 Tote zu beklagen. Ziel dieses Angriffs war die Vernichtung der Bahnstrecken und Bahnhöfe. Fast in allen Fällen wurden die Bahnanlagen stark getroffen. Den Angriff auf Uelzen erlebte ich mit meinem Bruder persönlich. Wir konnten erst zwei Tage später nach Dannenberg zurückkehren. Im Gegensatz zu allen vorgenannten Städten blieben hier die Bahnanlagen unbeschädigt.

Die Annahme eines irrtümlichen Angriffs kann heute widerlegt werden. Herr Friedrich Hinrichs aus Dannenberg erzählte mir, daß der Bruder seines Großvaters, Pastor Baak aus Siemen, Anfang dieses Jahrhunderts nach Amerika auswanderte. Dessen Sohn, Edward Baak, wurde zur Air-Force eingezogen und flog mehrere Angriffe gegen Deutschland. Als er die Mitteilung bekam, daß sich Dannenberg auf der Zielliste befand, ließ er sich für diesen Angriff beurlauben. Dieses wurde in Briefen 1945/46 mitgeteilt. Leider gingen sie verloren. Auch die Annahme, daß eventuell Engländer den Angriff ausführten, konnte durch eine Wochenschauaufnahme, die Herr Dr. Woehlkens, Uelzen, aus Washington ankaufte, widerlegt werden.

Wir wollen aber über dem Detail nicht die allgemeine Kriegslage vergessen. Am 22. Februar 1945 hatten die Amerikaner den Rhein noch nicht überschritten; das geschah erst am 7. März 1945 bei Remagen. Im Osten war Ostpreußen abgeschnitten, die Russen standen in Pommern. Schlesien war Mitte Februar zum großen Teil besetzt.

Zu dieser Zeit fanden die größten Terror-Bombenangriffe statt. Am Tage von den Amerikanern, in der Nacht von den Engländern, wurden die deutschen Städte bombardiert. Ganz besonders wurde Berlin getroffen. Am 13. und 14. Februar wurde der Angriff gegen Dresden geflogen. Es war wohl überhaupt der schwerste des vergangenen Krieges. Dabei starben etwa eine Viertelmillion Menschen. Das geschah acht Tage vor dem Angriff auf unsere Kleinstädte. Wir hatten in der Zeit herrliches, sonniges Winterwetter. Man verfolgte die Bomberverbände mit bloßem Auge; mit dem Fernrohr waren alle Einzelheiten zu erkennen. Angst vor einem Angriff auf Dannenberg, das ohne Industrie und militärische Bedeutung war, oder auch nur der Gedanke, daß ein Angriff möglich sein könnte, hatte niemand. Ich glaube das sagen zu können, obwohl ich damals erst zehn Jahre alt war.

Diese Sorglosigkeit war sicher Leichtsinn. Aber welche Schutzmöglichkeiten waren denn gegeben? Sichere Keller gab es nicht, die angelegten Splittergräben, einer befand sich neben dem Ratskeller auf dem sogenannten Pferdemarkt, hatten kaum 1 m Erddeckung. Dannenberg war nicht als Stadt, sondern als Eisenbahnknotenpunkt immer in Gefahr gewesen. Dannenbergs Ostbahnhof wurde später übrigens noch zweimal von Tieffliegern beschossen.

Der Angriff auf Dannenberg erfolgte aus Südwesten. Es war vorher Alarm gegeben worden, der wie üblich von der Bevölkerung nicht beachtet wurde. Ein Verband von 20 bis 30 Bombern (die Zahl ist unbestimmt) flog die Stadt an, durch welche die Trecks von Dömitz in Richtung Westen zogen.

Es wurde ein Markierungszeichen gesetzt und danach ca. neunzig 250- und 500-kg-Bomben ausgelöst. Die Karte zeigt (jeder Punkt bedeutet einen Bombeneinschlag), daß die Bomben in Dreier-Gruppen fielen. Wahrscheinlich warfen 30 Maschinen je drei Bomben, aus deren Einschlägen man heute die Flugformation rekonstruieren könnte.

27 bis 30 Häuser wurden total zerstört und eine große Anzahl beschädigt. Außer den Toten gab es noch viele Verletzte.

Auf der Karte mit den Bombeneinschlägen sind drei Schwerpunkte zu erkennen:
1. Marktplatz
2. Adolfsplatz
3. Mühlentor

Außerdem wurden die Hinterhäuser der Langen Straße an der nördlichen Seite stark getroffen sowie die Hinterhäuser an der Einmündung der Lüchower Straße. Der Bahndamm und die Jeetzelbrücke wurden nicht beschädigt. Der Angriff verlief quer zur Stadt. Wenn der Angriff in Längsrichtung verlaufen wäre, hätte er sicherlich noch größeren Schaden angerichtet. Am Markt wurden die Häuser Renger, Albrecht, Dammann und Wegener zu einem geschoßhohen Trümmerhaufen zerbombt. Das May'sche Haus wurde so stark beschädigt, daß es eingerissen werden mußte. Allein im Marktbereich gab es 26 Tote. Auf dem Adolfsplatz wurden die Häuser Hilgner, Wegener sowie das Wedel'sche und das Schmedt'sche Haus getroffen. Das Schmedtsche Haus fiel allerdings erst Tage später in sich zusammen, obwohl eine Bombe genau vor dem Giebel eingeschlagen war. Bei Gördeler wurden die Scheune und das Hinterhaus zerstört. Am Mühlentor wurden die Häuser Lahs, Gerstenkorn, Hagen und zum Teil Albat auf der nördlichen Straßenseite zerstört. Auf der südlichen Seite das Haus Tewes. Das Gebäude der Molkereiverwaltung wurde stark beschädigt. Es wurden weiterhin die Häuser von Schulz und Thielemann am Prochaskaplatz und die Hinterhäuser von Bürgermeister Koch und Tischlermeister Voß zerstört. Hinter dem Strauß'schen Zimmerplatz fielen allein 17 Bomben. Das Haul'sche Haus wurde vernichtet.
Um das Geschehen noch eindringlicher zu schildern, möchte ich einige Augenzeugen zu Worte kommen lassen:

1. Erlebnisbericht: Frau Meyer-Ohlendorf, Dannenberg, Lange Straße.
„Es war sonnig und klar. Gegen 11 Uhr wurde Alarm gegeben. Wie immer nahmen wir ihn nicht ernst. Ich lief auf den Adolfsplatz und sah dem Schauspiel zu. Durch die Sonne angestrahlt flogen die Flugzeuge in Richtung Berlin. Ich bekam von meinem Vater den Auftrag, alle Helfer schnellstens nach Hause zu schicken. Kaum waren sie im vorderen Geschäftsgebäude, begann ein fürchterliches Krachen; Schwefelgeruch und dichte Staubwolken stiegen auf. Etwa 5 m hinter mir stürzte die Hauswand ein. Auf dem Grundstück waren, wie später festgestellt wurde, 3 Bomben eingeschlagen. Scheune, Garagen, Federkammer und Reinigungsräume, in denen wir kurz zuvor noch alle gearbeitet hatten, waren eingestürzt. Ich lief mit meinem Vater zum Boden, da wir durch den Staub und Schwefelgeruch glaubten, daß das Haus brenne.

Aber zum Glück war es ein Irrtum. Von oben sahen wir, was geschehen war. Ich lief in mein Zimmer, um meine Rot-Kreuz-Tasche zu holen und schnell Erste Hilfe leisten zu können. In meinem Zimmer fehlte die Rückwand, und ich konnte direkt auf den fast zerstörten Adolfsplatz sehen. Ich lief zum Marktplatz, wo wir verbanden und nach Vermißten suchten. Die Toten wurden in die Kirche gebracht. Ein grausames Bild bot sich uns vor dem Altar, vor allem, als wir später die uns sonst doch täglich bekannten Menschen in Körperteilen zusammentragen mußten. Aber nicht nur Bekannte, auch Flüchtlinge, die mit den Überresten ihrer Habe durch die Stadt zogen, waren Opfer dieses Angriffs geworden. Ein grausames Bild in den Straßen, umgekippte Wagen, tote Pferde und stöhnende Menschen."

2. Erlebnisbericht: Fräulein Schulz, Dannenberg, damals im Hause Wegener, Am Markt.
Wir saßen an diesem 22. Februar gerade beim Mittagessen. Plötzlich wurde es in der Küche ganz windig. Wir liefen, vorweg Frau Wegener mit den beiden Kindern, und dann wir drei hinterher. Wir kamen bis zum Vorflur, wo der Laden angrenzt, und da war es aus. Es war nichts mehr zu sehen und zu hören. Gekracht hat es nicht. Bis ich wieder zu mir kam, hat es wohl nur Sekunden gedauert. Ich habe gedacht: "So, jetzt haben dich wohl doch die Tiefflieger erwischt." Rühren konnte ich mich nicht. Ich hörte immer nur ein eigenartiges Glucksen, und ich dachte: Jetzt haben sie die Wasserleitung kaputtgeschossen; die Hauswand ist auch mit eingestürzt und du liegst darunter. Sie werden dich sicherlich bald retten, sonst mußt du noch elendig hier ertrinken." Es verging eine geraume Zeit, bis ich auf einmal Stimmen hörte und Mörtel auf mich herabfiel. Ich hörte eine Stimme, und ich meldete mich sofort mit meinem Namen. Man sagte mir, daß gleich jemand zu mir käme. Immer hatte ich von all dem, was passiert war, noch keine Ahnung. Ich wartete weiter, und es liefen immer mehr Menschen über mich hinweg. Es fiel Sand und Staub auf mich herab, aber rühren konnte ich weder Arme noch Beine. Mit einem Mal stand ein Herr oben und griff zu mir durch. Auf einmal hatte er meinen Kopf zu fassen bekommen, und da bin ich ihm mit meiner linken Hand entgegengekommen und habe seine Hand nicht wieder losgelassen. Da sagte er zu mir, ich solle seine Hand loslassen, er wolle mir doch helfen und mich rausholen. Doch ich rief: "Ich lasse Ihre Hand nicht los, sonst komme ich hier gar nicht wieder raus!" Und somit hielt ich seine Hand auch weiterhin ganz fest. Es sind noch zwei Stunden vergangen, daß ich da unten liegen mußte. Die Gedanken, die mir während dieser Zeit durch den Kopf gingen, kann man einfach nicht beschreiben, und immer wußte ich noch nicht genau, was überhaupt los war. Ich bekam mittlerweile meinen Kopf immer mehr freigeschaufelt, und man gab mir zu trinken. Über mir lag eine Tote und am Fußende noch eine. — Das wurde mir erst später gesagt. Endlich, um 14.30 Uhr, wurde ich aus meinem schrecklichen Gefängnis befreit. Diese Stunden werde ich in meinem ganzen Leben nie vergessen."

3. Erlebnisbericht: Herr Klaus Gehrels, Dannenberg, Am Markt.
„Mit meinen Freunden, Günter Breimeyer und Wolfgang Schmidt, befand ich mich an diesem 22. Februar 1945, wie auch an den vorherigen Tagen, auf dem Dach der Einhorn-Apotheke zur Beobachtung der amerikanischen Bomberverbände. Gegen Mittag näherten sich etliche schwarze Punkte aus südlicher Richtung, und sie wurden schnell zu Flugverbänden, die im Näherkommen immer tiefer gingen. Die Flugrichtung war sehr ungewöhnlich; sie veranlaßte meine Freunde und mich, unseren luftigen Ausguck schleunigst zu verlassen. Plötzlich wurde aus dem ersten Flugzeug eine Rauchbombe geworfen und gleich darauf löste sich ein großer Klumpen aus dem ersten Bomberverband, der sich dann schnell in einzelne Bomben aufteilte. Ein Pfeifen und Brausen war zu hören. Ich suchte nur noch schnell unter einem dicken Obstbaum Deckung und schützte den Kopf mit den Armen. Dann dröhnten auch schon die fallenden Bomben, und es entstand ein fürchterliches Krachen und Bersten. Wie sich dann herausstellte, lagen die Einschläge in einer Entfernung von ca. 30 und 100 Metern auf dem Adolfsplatz und dem Markt. Als der Lärm abgeflaut war, hob ich den Kopf und versuchte zu sehen. Die Luft war voller Lehmstaub und Bettfedern und meine Augen verklebten sofort. Ich konnte absolut nicht mehr sehen und tastete mich durch Beete und Bäume zu einer Steintreppe, die am Ende des Gartens zur Kleinen Jeetzel führte. Ich konnte mir am Wasser die Augen auswaschen und konnte dann die Folgen des Bombardements auf dem Adolfsplatz erkennen. Ich dachte natürlich gleich an unser Haus und an den Markt und lief sofort den Gang zwischen Apotheke und Tischlerei Ude hinauf und konnte um die Ecke Münzstraße/ Schloßgraben sehen. Unser Haus stand noch. Ich lief durch die Münzstraße zurück und sah als erste zwei Tote an der Ecke zum Pferdemarkt. Auf dem Pferdemarkt selbst ein schreckliches Durcheinander von Fuhrwerken, Pferden und Menschen. Flüchtlinge mit ihren Gespannen waren schwer getroffen worden. Dann sah ich auch die Zerstörung am Markt: Wegener, Dammann, Renger — ein einziger Trümmerhaufen, in dem schon die ersten Menschen nach Überlebenden suchten. Diesen Helfern habe ich mich dann angeschlossen."

4. Erlebnisbericht: Frau Albat, Dannenberg, Mühlentorstraße.
„Es war kurz vor 12 Uhr und wir hatten Mittag gegessen. Meine Schwiegermutter, meine Schwägerin und zwei Jungs, Flüchtlinge aus Ostpreußen, wohnten bei mir im Hause. Da kamen die Flieger, und meine Schwester sah die Markierungszeichen der Flieger, und schon hörten wir das Krachen der Bomben. Alles war dunkel vom Staub. Meine Schwägerin rief: ,Raus, raus, wir müssen raus!“ Dann wurde es wieder langsam hell, und wir liefen zum Hof, weil zur Straße hin alles zugefallen war. Ich habe zwei Jungs festgehalten, und wir sahen, daß außer der Küche alles kaputt war. Meine Schwester hatte ihren Enkel oben auf dem Flur und rief immer wieder: "Hilfe, Hilfe!" Ich kehrte um und half meiner Schwester die Treppe hinunter, da überall Balken umherlagen. Wir haben uns umarmt und uns gefreut, daß wir noch am Leben waren.

Dann riefen wir: ,Oma, Oma!“ Aber während ihres Mittagschläfchens war sie von den Balken erschlagen worden. Wir gingen dann über Trümmer an einem Bombentrichter vorbei, über

Abb. 1 (oben): Der Marktplatz von Dannenberg vor dem Kriege.
Abb. 2 (unten): Der Marktplatz nach dem 22. 2. 1945.

Drenkhahns Hof zur Straße hin. Auf der Brücke lag eine Frau ohne Kopf, und bei der Molkerei lag noch ein toter Pole. Unser Haus war zusammengefallen, und Gerstenkorns und Fräulein Hagens Haus waren völlig zerstört. Tewes Haus hatte einen Volltreffer bekommen. Lotte Ruschenbusch war ganz blutig im Gesicht und stand mit einer Hacke auf den Trümmern und rief: "Helft doch, eben haben sie noch gerufen!“ Sie hat dann ihre Tante, die unter einen Tisch gekrochen war, gerettet. Fräulein Hagen haben wir erst nach drei Wochen herausgebuddelt. In Gerstenkorns Vorderhaus waren Herr und Frau Gerstenkorn, das Großkind, ein Pole und eine Frau aus Dresden von den Steinen erschlagen worden. Im Hinterhaus wohnte eine Frau Schulz; sie kam zu uns gelaufen und sagte, wir sollten doch mal sehen, es läge eine Frau ohne Kopf im Hof. Ach, es war schrecklich! Die Flüchtlingstrecks waren zur Zeit des Angriffs durch die Stadt gefahren und bei Gastwirt Stahlbock wurde ein Wagen, vollbesetzt mit Leuten, getroffen. Die Frau auf der Brücke war Frau Wiest, ich erkannte sie an ihrem Mantel."

5. Erlebnisbericht: Herr Ulrich, Soltau, damals aus Illowo, Ostpreußen, kommend.
„Ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern. Ich war damals 12 Jahre alt, und wir kamen mit unseren Eltern aus Ostpreußen. Es lag schon eine harte Zeit hinter uns, wir waren den russischen Truppen oft sehr nahe und sind viele Nächte durchgefahren, so daß wir schon eine starke innere Angst hatten. Unser Ziel war die Elbe, die uns Sicherheit versprach, denn es hieß: Bis hierher kommen die Russen sicherlich nicht. Unsere Stimmung war an diesem Tag gelöst. Wir kamen auf die Elbbrücke und waren froh, daß nun all diese Angst vorbei sei. Das Wetter war herrlich und wir begannen zu singen. Ein uns entgegenkommender Soldat sagte, wir sollten vorsichtig sein, es sei Fliegeralarm. Bis jetzt hatten wir noch nichts mit Flugzeugen zu tun gehabt und nahmen so wenig Notiz von dieser Warnung. Ein Straßenwärter, der uns auf die gleiche Gefahr aufmerksam machte, wurde ebenfalls nicht sonderlich beachtet. Wir kamen nach Dannenberg und am Rathaus gab es Verpflegung für die Flüchtlinge. Mein Vater ging hinein und kam mit einem Rest Eintopf wieder heraus. In einer Viertelstunde würde es wieder etwas zu essen geben. Doch man meinte, daß wir weiterfahren sollten, da Fliegeralarm gegeben worden war. Wir überlegten einen Augenblick, und da hörten wir plötzlich das Geräusch von Flugzeugen. Ein Bekannter von uns, ein Förster, der mit auf unserem Wagen war, blickte auf und rief: ,Oh, Flugzeuge, 12, 24, 36 — Bomben!“ — Und da war ein gewaltiges Krachen zu hören, und es wurde dunkel. Dann ein erbärmliches Schreien unter den Menschen, die in unserer unmittelbaren Umgebung waren. Wir waren entsetzlich erschrocken, zitterten am ganzen Körper und guckten uns um, als es wieder hell geworden war, ob alle unversehrt waren.
Es kommt mir heute noch wie ein Wunder vor, daß wir aus diesem furchtbaren Bombenhagel unversehrt herausgekommen sind. Wir standen wie gesagt mit unserem Pferdewagen vor dem Rathaus, über dessen Eingang steht: Un wi mütt dat all betahlen! Ein Teil des Daches war heruntergefallen; unsere Pferde zogen an und standen dann, als es wieder hell wurde, auf dem Schutt. Wir stiegen vom Wagen herunter und bekamen von meinem Vater den Auftrag, aus der Stadt herauszugehen, da noch ein neuer Angriff zu befürchten sei. Mein Vater wollte dann mit dem Förster und dem Wagen nachkommen. Jetzt konnten wir überhaupt erst das Ausmaß dieses Bombenangriffs übersehen. Vor dem Hotel Ratskeller stand ein Flüchtlingswagen mit einem toten Pferd davor. Auf dem Wagen lag ein Toter und davor eine tote Frau. Dann sahen wir, wenn man vom Marktplatz in Richtung Uelzen die Straße entlangsieht, daß die Giebel, die zum Marktplatz zeigten, durch die Druckwelle herausgefallen waren. Man konnte nun in diese Häuser hineinsehen; es war ein schrecklicher Anblick. Die Öfen, die zuvor noch heimelig gebrannt hatten, rauchten nun in den Trümmern und es waren furchtbare Schreie zu hören. Wir standen unter solch einem Schock, daß wir alles gar nicht nüchtern wahrnehmen konnten. Auf dem Weg zum Prochaskaplatz mußten wir noch zwei Bombentrichter umgehen und am Mühlenteich in Prisser warteten wir auf unseren Vater und dessen Begleiter. Nach einer Stunde Wartens kam mein Vater heil bei uns an. Er erzählte, daß sie viele Schwierigkeiten überwinden mußten, bis sie endlich aus der Stadt heraus waren. Soldatentrupps halfen die Bombentrichter zuzuschütten, um den Trecks die Durchfahrt überhaupt zu ermöglichen.

Abb. 3 (oben): Der Adolfplatz nach dem Angriff.
Abb. 4 (unten): Die Mühlentorstraße nach dem Angriff.

Auf jeden Fall war der Bombenangriff für uns ein großer Schock. Wir wähnten uns in Sicherheit und glaubten, daß wir das Schlimmste überstanden hätten, als wir die Elbe erreicht hatten Doch das war ein Irrtum. In solch einer unmittelbaren Gefahr, wie bei diesem Bombenangriff, hatten wir uns auf der gesamten Flucht nicht befunden. Als wir etwa 10 km von zu Hause weggefahren waren, kamen wir in das Schußfeld der russischen Panzer, und es wurden aus unserer Wagenkolonne einige Wagen herausgeschossen. Die Gefahr, selbst getroffen zu werden, kam uns nicht in den Sinn, und als wir dann an den getroffenen Wagen vorbeifuhren, gerieten wir nicht in solchen Schock wie bei dem Bombenangriff auf Dannenberg. Es ist bestimmt noch erwähnenswert, daß wir auf unserem Wagen 10 Personen waren und darunter befanden sich 7 Kinder unter 15 Jahren.“

Das waren einige Augenzeugenberichte.

Die Aufräumungsarbeiten wurden umgehend organisiert. Ein Einsatzstab tagte noch am gleichen Abend um 19.15 Uhr. Zu den Aufräumungsarbeiten waren die Freiwilligen Feuerwehren aus der Umgebung, die Technischen Nothilfen aus Lüchow und Hitzacker, Fallschirmjäger und die Landesschützen im Einsatz. Leute der Organisation Todt, HJ, BDM und viele Zivilpersonen halfen. Baufirmen stellten Fahrzeuge und die Landwirte stellten 25 Gespanne mit je 3 Mann, das heißt 75 Mann, zur Verfügung. Das war eine große Hilfe.

Es war ein unübersehbarer Berg von dringenden Arbeiten zu erledigen:
Bergung der Verschütteten,
Räumung der Durchgangsstraßen,
Brandbekämpfung am Markt und Mühlentor,
Aufbahren der Toten in der Kirche,
Abtransport der Verwundeten in das Kreiskrankenhaus, DRK-Behelfsheim, Hilfskrankenhaus Schützenhaus und Unfallstelle Rathaus,
Sicherstellung der Trinkwasserversorgung, der Strom- und Gasversorgung,
Versorgung mit Lebensmitteln für die Betroffenen und die neuankommenden Flüchtlinge.

Es wurde aufopfernd und schnell gearbeitet, ohne auf weitere Alarme Rücksicht zu nehmen. Trotzdem konnten die letzten Opfer erst drei bis vier Wochen später aus den Trümmern geborgen werden.

Gerd Dammann , Architekt BDA, Dannenberg/Elbe, Am Markt 14.
Archiv-ID: 5308574
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