Zugunglück am Lüchower Bahnhof

Lüchow
Datum: 14. Oktober 1912
Zeitraum: 1900 - 1913

Die ZfdW vom 15. Oktober 1912 berichtet über das Geschehen:

"— Ein Eisenbahn-Unglück mit erheblichem Materialschaden im Gefolge ereignete sich gestern morgen auf der Strecke Lüchow—Dannenberg kurz hinter unserem Bahnhofe. Der 7.30 Uhr von Salzwedel hier angekommene Zug mußte, wie das immer so üblich, rangieren und zu diesem Zweck, da er eine große Wagenzahl hinter sich hatte, eine größere Strecke über das eigentliche Bahnhofsgebiet auf das Dannenberger Gleis hinausfahren. In diesem Augenblick kam der erste Frühzug von Dannenberg, der Verspätung hatte und darum in einem etwas schnelleren Tempo gefahren sein mag, und fuhr, trotzdem der Lokomotivführer die Gefahr im letzten Angenblick erkannte und Gegendampf gab, mit großer Wucht auf den rangierenden Salzwedeler Zug auf. Der Zusammenstoß erfolgte unter fürchterlichem Krachen und hatte zur Folge, daß zwei Wagen zur Hälfte ineinandergeschoben und sechs andere erheblich beschädigt wurden. Von dem Dannenberger Zug schwebte der Vorderteil der Maschine in der Luft und zeigte schweren Schaden. Die Puffer und Laternen der Lokomotive lagen gebrochen neben dem Bahndamm und das Grundgestell war nach allen Richtungen verbogen. Zwei Personenwagen dieses Zuges, die ohne Bremse liefen, wurden bis zur Plattform ineinandergedrückt, bei vielen anderen erblickte man Beschädigungen an den Puffern und an den Fenstern. Am schlimmsten sah jedoch der Salzwedeler Zug aus. Er hatte den ganzen Anprall zu leiden gehabt und war an vielen Stellen aus dem Gleis geworfen worden. Die Lokomotive des erstgenannten Zuges hatte sich gehoben und war auf die Maschine des aus Salzwedel gekommenen Zuges ein kurzes Stück hinaufgeschoben worden. Dadurch hatte der Tender besonders stark gelitten; die Achsenlager waren geplatzt und das Oberteil in den Postwagen, der entgleist war, hineingedrückt. Die dann folgenden Personenwagen mit Abteilungen 2. und 3. Klasse waren ineinandergeschoben und fast vollständig zertrümmert.

Eisen- und Holzteile lagen wie gesät herum und zeugten von der Wucht des Zusammenpralls. Die dann folgenden Wagen waren besser davongekommen; sie waren zumeist nur an den Plattformen und Puffern beschädigt. Zum Glück war der Salzwedeler Zug, da er noch rangierte, unbesetzt, sonst hätte es zahlreiche Tote und Verwundete gegeben, denn aus den zusammengeschobenen Abteilen wäre sicher niemand heil herausgekommen. In dem Dannenberger Zug flog in dem Augenblick des Zusammenstoßes alles durcheinander; trotzdem ist auch hier zum Glück niemand ernstlich verletzt. worden. Einer Frau wurde das Nasenbein gebrochen und andere erhielten geringfügige Hautabschürfungen. Auch das Personal beider Züge blieb unverletzt, obgleich ein Bremser in weitem Bogen auf die Erde geschleudert wurde. Kurz vor 11 Uhr traf aus Stendal ein Hilfszug ein. Die Mannschaft machle sich mit Hebewerkzeugen sofort an die Arbeit und schaffte zunächst die in den Gleisen gebliebenen hinteren Wagen des Salzwedeler Zuges fort. Das Auseinanderziehen und Fortschaffen der zertrümmerten Wagen machte schon mehr Schwierigkeiten. Fünf Zentimeter dicke Stricke rissen wie Zwirnsfäden und die Maschine des Hilfszuges mußte allemal einen Anlauf nehmen, um die Trümmer ein Stück weiter auseinanderzuziehen. Am Nachmittage war die Strecke frei, sodaß der bis dahin durch Umsteigen aufrecht erhaltene Verkehr wieder glatt durchgehen konnte. — Die Ursache des Unglücks ist in erster Linie in den ganz unzulänglichen Einrichtungen unseres Bahnhofes und dessen Betriebs zu suchen. Fast kein Zug geht mehr fahrplanmäßig ab infolge des vielen Rangierens, und die vielen Beschwerden des Publikums, die bisher unbeachtet geblieben sind, haben nun einmal eine ernste Bestätigung erhalten. Der Dannenberger Zug hatte zwar keine Einfahrt, aber das Signal wurde, da es keine Laterne trug, in dem dichten Nebel von dem Lokomotivführer erst im letzten Augenblick gesehen. Er bremste sofort, aber das Unglück war nicht mehr zu vermeiden. Es muß als geradezu unerhört bezeichnet werden, daß Züge noch weit draußen auf der Strecke rangieren müssen, indessen die Einlaufszeit des entgegengesetzten Zuges bereits begonnen hat. Hoffentlich wird nun endlich Wandel geschaffen."

Eine Ergänzung zu der obigen Beschreibung steht in der Publikation "Eisenbahnzeit im Wendland", Schriften des Museums Wustrow, Band 2, April 1990, zu einem anderen Foto des Ereignisses auf Seite 111:

"...Die beiden Lokomotiven der preußischen Baureihe S1 mit den Ordnungsnummem 16 und 17 gehörten seinerzeit zur Betriebswerkstatt Salzwedel. Sie wurden zufolge des erwähnten Zeitungsberichtes zwar schwer beschädigt, aber dennoch offenbar wieder repariert, da sie noch am 1.5.1914 in den Bestandsaufzeichnungen des Maschinenamtes Stendal, Betriebswerkstatt Salzwedel, aufgeführt sind."

Siehe auch ID 31849 und 31848.
Quelle:  Torsten  Schoepe
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Eisenbahn • Unfall
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