Zeitungszustellung im Nadelstreifenanzug

Lüchow
Datum: November 1954
Zeitraum: 1946 - 1960

Die Aufnahme entstand zur Illustration eines Artikels in der EJZ-Jubiläumsausgabe zum 100-jährigen Bestehen der Lüchower Zeitung (ZfdW) vom 4. Dezember 1954:

"Lob des Zeitungsboten (zu verstehen als "Lob an den Zeitungsboten)

Das Ist einer aus der großen Schar der Zeitungsboten, die dem Leser täglich schwarz auf weiß das Weltgeschehen ins Haus tragen. Man kann beinahe die Uhr nach ihnen stellen, so pünktlich ertönt das morgendliche Klappern am Briefkasten, die Türklingel oder der Ruf im Hausflur: "Zeiiituung!". Und dann hört man nur noch das Türenklappen und sieht vielleicht durch das Fenster, wie der Bote mit prallgefüllter Packtasche über die Straße läuft, immer in Eile, sein Blatt pünktlich an den Mann oder die Frau zu bringen. Sein Wirken ist so selbstverständlich wie das Schlagen der Turmuhr.

Haben Sie sich, verehrter Leser, gerade in den Landgebieten schon einmal Gedanken darüber gemacht, wieviele Kilometer Weg der Zeitungsausträger schon hinter sich hat, wenn er des Morgens an Ihre Tür klopft? Wir haben es in einem Falle einmal ausgerechnet. Da ist einer in unserer Schar, dessen Familie schon in der dritten Generation die Zeitung aus Lüchow in den 15 Dörfern seines Bezirkes verteilt. Der Mann hat, als er das 25 Jahre lang gemacht hatte, sage und schreibe 125.000 Kilometer zurückgelegt. 125 000 Kilometer, in Sturm und Regen, bei Frost und Hitze, ohne Rücksicht auf Lust oder Unlust, in Krieg und Frieden, tagaus, tagein! Man könnte solche Kilometerleistungen auf Fahrradverschleiß oder Schuhsohlenabnutzung umrechnen, aber dann würde der Zeitungsbote nur abwehrend die Hände ausstrecken.

Es ist kaum ein Ort im Kreise, an dem der Leser nicht vormittags die Zeitung in der Hand hat. Vielfach ist ihm der Bote genau so vertraut wie der Landbriefträger oder die Postfrau, nur mit dem Unterschied, daß ersterer täglich zu ihm kommt. Daraus ergibt sich sehr häufig ein jahrelanges gegenseitiges Verhältnis. Ihr Zeitungsträger nimmt persönlichen Anteil an dem Familiengeschehen , ist er es doch, der schnell den Geburtstag der Oma notiert und an die Redaktion vermittelt, dem Sie vielleicht noch freudestrahlend den Auftrag erteilen, die Geburtsanzeige des Stammhalters anzunehmen, weil Sie vor lauter Freude es am Vortag in der Stadt vergessen haben. Und wie manches Mal tritt er in das Haus und liefert nicht nur die Zeitung sondern auch die Trauerdrucksache mit ab, die in der Druckerei am Tage zuvor bestellt worden ist. In unserem ländlichen Kreise ist der Zeitungsbote die Brücke vom Verlag zum Leser, und auch wir von der Redaktion vergeben uns nichts, wenn wir bekennen, wie manche Anregung und wie manchen wertvollen Fingerzeig wir dem Manne mit dem Fahrrad, der Tag für Tag den persönlichen Kontakt zum „Kunden“ hat, verdanken.

Noch manche Botenfamilie gibt es, die — wir erwähnten es schon ganz kurz — seit Generationen die Zeitung für uns trägt. Und wenn der jüngste Enkel, kaum dem schulpflichtigen Alter entwachsen, einmal krank oder sonstwie verhindert ist, dann springt der Opa noch einmal ein, denn er kennt genau so gut wie der Junge seinen Leserkreis. Wir wollten einmal einem alten und treuen Boten, der auch schon sozusagen erblicher Zeitungsträger war, zu seiner Goldenen Hochzeit gratulieren. Wir machten uns so gegen 10 Uhr des Morgens auf und fuhren hin in das Dorf, in dem er wohnte. Aber wir fanden nur die „Jubelbraut“ allein in ihrem Staatsgewand mit den Gästen vor. Opa war noch unterwegs, — die Zeitung auszutragen. Erst nach einer Stunde kam er, stellte sein Fahrrad in die Scheune und zog sich seinen Bratenrock an. Erst sollte das Blatt raus sein, dann konnte die Feier beginnen.

Und so geht es allen. Erst muß die Zeitung weg — dann kann die andere Arbeit beginnen. Wenn man bedenkt, daß mit solcher mitunter recht harten Arbeit durchaus keine Reichtümer zu gewinnen sind, dann muß man zu dem Ergebnis kommen, daß auch zum Zeitungsaustragen ein gewisser Idealismus und vor allem ein starkes Pflichtgefühl gehört. Würden Sie es einem verdenken, wenn er bei Glatteis einfach drei Stunden später losfährt? Nein — und dennoch, das tut keiner. Die Unfallzahlen, die wir im vergangenen Jahre allein durch solche Dinge hatten, sprechen eine beredte Sprache. Und man glaube ja nicht, daß das Zeitungstragen ganz einfach wäre! Da ist Herr Sowieso, der möchte sein Blatt pünktlich um 6.30 Uhr des Morgens haben. Und sein Nachbar, der zwei Stunden später zur Arbeit geht, nicht vor acht Uhr, weil er durch die Klingel geweckt wird. Da muß man schon einiges Fingerspitzengefühl haben, wenn da alles klar gehen soll. Ganz zu schweigen von der durchaus nicht immer leichten und erfreulichen Arbeit des Kassierens. Wie manches Mal wird da aus eigener Tasche erst mal das Abonnement ausgelegt.

Mitunter bis zu 15 Dörfer versorgt ein einziger Bote. Und mancher kommt schon morgens gegen 5 Uhr zum Verlage gefahren und holt sein Zeitungspaket noch selber ab. Denn die Landkraftposten berühren seinen Ort vielleicht erst am späten Vormittag. Auch das sind wieder zusätzliche Kilometer, und es bedingt mitunter lange Wartezeiten. Häufig aber wird auch der Briefträger zum Zeitungsboten, das ist vor allem dort der Fall, wo einzelne Gehöfte beliefert werden müssen und wo es sich nicht mehr lohnt, einen Zeitungsboten vom Verlag aus.einzusetzen, weil die Entfernungen zu groß sind und die Dichte der Bezieher das nicht mehr rechtfertig. Die Zeitung aus Lüchow aber wird ja nicht nur hier im Kreise gelesen, sondern hunderte von Exemplaren gehen täglich als Einzelstücke durch die Post in aller Herren Länder, an Leser, die früher einmal hier waren oder hier noch Verwandte, Eltern und Geschwister haben und die den Kontakt zur alten Heimat nicht verlieren wollen. Und das ist am besten durch die Zeitung möglich, in der sich alles Geschehen daheim spiegelt. Diese zweite Botengilde der Briefträger ist ein internationales Völkchen, die EJZ wird heute von Türken und Österreichern, von Argentiniern, Kanadiern und New Yorkem, von Persern ausgetragen von den Briefträgern dieser Nationen nämlich, in deren Bestellbezirken die alten Lüchower oder Dannenberger wohnen, die eben noch heute mit ihrer Heimat vertraut sein wollen.

Allen denen aber, die sich Dutzende von Paaren Stiefelsohlen im Laufe der Jahre allein beim Zeitungsaustragen abgelaufen haben, sei heute zum Anlaß des hundertjährigen Bestehens der Zeitung ein besonderes Dankeswort und ein Extralob gewidmet! Nicht nur vom Verlag der Zeitung aus, sondern — dessen sind wir sicher — auch vom Leser selber. --- hlr."
Autor/-in:  Kurt  Schmidt (tt)
Quelle:  Axel  Schmidt
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