Lüchow
Datum: 1938
Zeitraum: 1933 - 1945
Architekt dieser Halle am Kleinbahnhof war Kurt Kofahl, Lüchow.
Zur Eröffnung erscheint im Allgemeiner Anzeiger am 29. Januar 1938 ein ganzseitiger Bericht:
"An der Salzwedeler Straße gegenüber dem Kleinbahnhof erhebt sich ein Gebäude, an das die Stadt Lüchow für ihre wirtschaftliche Weiterentwicklung große Erwartungen knüpft: Die neue Viehverkaufshalle.
Das wirtschaftliche Gedeihen unserer Stadt hängt völlig von einer gesunden Landwirtschaft ab, die ihre Erzeugnisse aus dem Viehstall, ihre Erträgnisse aus Acker, Wald und Wiese hier zu Markte bringt, verkauft und von dem Erlöse wieder ihre Einkäufe macht. Fanden Ende des 18. und noch zu Beginn des 19. Jahrhunderts Handwerk, Handel und Gewerbe in Lüchow ihre Nahrung, da der Bauer mangels jeglicher ordentlicher Verkehrswege zur Abwickelung seiner geschäftlichen und wirtschaftlichen Angelegenheiten auf die Amtsstadt Lüchow angewiesen war, so wurde das nach der Wiederaufrichtung Deutschlands anders. Die Wegeverhältnisse auch im Königreich Hannover wurden in den dreißiger Jahren des 19. Jahrhunderts besser, die Verkehrsbedingungen wurden günstiger, der Absatz landwirtschaftlicher Produkte auf weitere Entfernungen erleichtert, Hausierer kamen aufs Land, die Märkte gingen zurück und infolgedessen erlitten Handel und Gewerbe schwere Einbußen, die dadurch wett zu machen versucht wurde, daß man hier industrielle Unternehmungen, wenn auch in kleinerem Umfange, errichtete, allerdings vergeblich. Im Handelsgewerbe entwickelten sich ungesunde Konkurrenzverhältnisse, die namentlich in den sechziger Jahren zahlreiche Konkurse zur Folge hatten. Mit der Hebung und Belebung der Landwirtschaft in unserem Wendlande durch die Gründung der landwirtschaftlichen Vereine, Einführung landwirtschaftlicher Maschinen und Geräte, sowie von Zuchtvieh u. a. kamen auch für Lüchow wieder bessere Zeiten. Die Rindvieh- und Schweinemärkte, auch Pferdemärkte wurden in den siebziger Jahren stark beschickt, Handel und Wandel lebte auf und an den Sonnabenden und namentlich an den „Grot-Sonnabenden" (dem 1. Sonnabend eines Monats) herrschte in Lüchow ein außerordentlich reger Verkehr.
Die Geschäftshäuser waren von morgens bis zum Abend voll Käufern vom Lande gefüllt und der Kaufmann konnte nach Geschäftsschluß manche Rolle Hunderttaler beiseite legen. Auf den Viehmärkten standen abwechselnd in der Kirchstraße und in der Langenstraße stets über 300 Stück Rindvieh und auf den Schweinemärkten 1300 — 1500 Borstentiere zum Verkauf, hinzu kamen an den Pferdemarkttagen 80 - 100 Pferde und zu gegebener Zeit 100 Schafe und 50 — 70 Gänse. Der Umsatz erreichte an manchen Markttagen 100 000 Mark, — von dieser Summe blieb ein nicht unerheblicher Teil in Lüchow. Mit Beginn des 20. Jahrhunderts setzte ein langsamer Rückgang der Rindviehmärkte ein, der erheblichen Umfang annahm, als auf Drängen der Regierung der Rindviehmarkt nach der Bleichwiese verlegt werden mußte, einem Terrain, das sich als ungeeignet erwies.
Während des Krieges hörten die Rindviehmärkte auf. Alle Bemühungen und Opfer seitens der Stadtverwaltung, diese Märkte wieder in Gang zu bringen (erst auf dem Brünger'schen Viehhof, später auf dem St. Georgshof) blieben erfolglos; mit dem Dezember 1937 wurden die Rindviehmärkte aufgehoben, — um nun am 14. Februar 1938 wieder in der neuen Viehhalle zu erstehen. Der Plan der Errichtung einer Viehverkaufshalle in Lüchow hat schon vor Jahren den Magistrat und die Bürgerschaft beschäftigt: der Stadt war s. Zt. der damals Ernst Schultz'sche Viehschuppen (jetzt zur Köhring'schen Brennerei gehörend) für die Viehhalle zu einem Preise von 40.000 Mark angeboten, die Bürgervorsteher lehnten aber den Ankauf des Gebäudes ab, weil der Platz nicht geeignet erschien. Auch der Vorschlag einer Regierungskommission aus Lüneburg, die Viehhalle auf dem hinteren Teil der Bleichwiese zu bauen, erschien nicht annehmbar, da dieses Terrain zu feucht und der Überschwemmungsgefahr ausgesetzt ist. Vorsorglich bildete die Stadtverwaltung aus den Standgeldern auf den Schweinemärkten einen Viehhallenbaufonds (der jetzt der Viebhallenbau Genossenschaft zur Verfügung gestellt wurde). Die sehr günstige Entwicklung der Viehmärkte der Salzwedeler Viehverkaufsvereinigung und der Umstand, daß von den Mitgliedern der letzteren über 50 Prozent im Wendlande, im Kreise Dannenberg-Lüchow, wohnen, gaben der Stadtverwaltung Veranlassung. mit tatkräftiger Unterstützung aus Kreisen der Landwirtschaft (wir nennen nur den Bauern Schulz in Dolgow) und aus der Bürgerschaft Lüchows den Viehhallenbau tatkräftigst zu fördern. Es gelang auch, in verhältnismäßig kurzer Zeit eine Viehhallenbau-Genossenschaft ins Leben zu rufen, die jetzt den stolzen Bau an der Salzwedeler Straße errichten ließ, den unsere Leser im Bilde und im Grundriß sehen.
Viele werden daran gezweifelt haben, daß die Halle noch zur rechten Zeit fertiggestellt wurde, aber heute dürften diese Zweifel beseitigt sein. Der ganze Bau entspricht seiner Zweckbestimmung. Die Verkaufshalle, die eine Größe von 18 X 24.60 Meter hat, dürfte allen Anforderungen genügen. Auch die beiden Seitenstallungen, welche je 29 Meter lang und 7.50 Meter breit sind, dürften vorläufig groß genug sein. Eine Vergrößerung der Ställe ist jederzeit, ohne an dem stehenden Bau etwas zu ändern, möglich. Weiter enthält der Bau Wirtschafts- und Büroräume. Am nördlichen Seitenflügel, in unmittelbarer Nähe der Halle, hat die Kleinbahn ein Anschlußgleis gelegt und ist eine Verladerampe gebaut. So kann das Vieh sofort nach dem Verkauf in die bereitstehenden Waggons verladen werden. Alles ist eben praktisch und bequem eingerichtet.
Am 14. Februar findet die 1. Auktion in der neuen Viehhalle statt; — unsere Bauern mögen nun beweisen, daß der seit Jahren von ihnen ausgesprochene Wunsch, für ihr Vieh bei Auktionen und Märkten eine Unterkunftshalle zu erhalten, ernst war, und die erste Viehauktion in Lüchow recht zahlreich und mit hochwertigem Vieh beschicken.
Wir schließen unsern Rückblick mit dem Wunsche, daß sich alle an die neue Viehhalle geknüpften Erwartungen der Geschäftswelt Lüchows und unserer heimischen Landwirtschaft erfüllen mögen."
Torsten Schoepe schreibt zu diesem Foto aus seiner Familiengeschichte:
Geschäftsführer der Viehverwertungsgesellschaft Lüchow und im Aufsichtsrat der Viehhallenbaugenossenschaft war für viele Jahre mein Opa Heinrich Ritter, Vater meiner Mutter Annelore Schoepe. Sein Sohn, Jürgen Ritter, hat 1993 aufgeschrieben, wie die Familie Ritter überhaupt nach Lüchow kam:
"Mein Vater, dritter Sohn eines Bauern, sollte Lehrer werden. Er wurde in Hameln ausgebildet, dann als Soldat eingezogen und nach dem 1. Weltkrieg zunächst Lehrer in Holtensen bei Weetzen und 1919 in Grupenhagen. 1922 heiratete er die Tochter des Dehmker Lehrers, Anna Schäfer. Aber in der Wirtschaftskrise wurde 1924 die Stelle meines Vaters gestrichen, und er fand eine Anstellung als Buchhalter beim Landbund, einer Landwirte-Organisation. Als in Lüchow eine neue Geschäftsstelle des Landbunds eröffnet wurde, zogen meine Eltern mit dem Geschäftsführer Dr. Jaenicke dorthin. Sie erhielten eine Wohnung im neu errichteten Landbund-Haus (Schützenstr. 2), in dem ich dann geboren wurde. Als der Landbund aufgelöst wurde, war mein Vater zunächst als Helfer in Steuersachen tätig, bis er 1938 Geschäftsführer der Viehverwertunsgenossenschaft wurde und damit eine Tätigkeit fand, die ihm sehr zusagte."
Am 10. August 1970 erscheinen zwei Nachrufe auf Heinrich Ritter in der EJZ:
"Am 7. August 1970 verstarb nach schwerer Krankheit unser früherer Geschäftsführer Heinrich Ritter. Er hat sein Amt über 25 Jahre als Geschäftsführer mit großer Pflichterfüllung wahrgenommen. Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren. Viehverwertungsgenossenschaft Lüchow e. G. m. b. H."
"Am 7. August 1970 verstarb nach schwerer Krankheit Herr Heinrich Ritter aus Lüchow. Er gehörte unserer Genossenschaft seit ihrer Gründung an, seit dem 19. Juni 1953 als Mitglied des Aufsichtsrats, in dieser Eigenschaft hat er sich ganz besonders für die Belange unserer Genossenschaft eingesetzt. Wir haben ihm viel zu verdanken und werden seiner stets ehrend gedenken. Viehhallenbaugenossenschaft Lüchow e. G. m. b. H."
Quelle:
Friedrich
Bohlmann
Familiengeschichte • Landwirtschaft
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