Presse-Zonengrenzlandfahrt

Hannoversches Wendland
Datum: 14./15. März 1955

Die Route der Fahrt wurde durch den Architekten Horstmann in detaillierten, schön illustrierten Zeichnungen dokumentiert. Die 13 Seiten umfassende Mappe kann im Bereich Bibliographie als PDF herunter geladen werden. (Volltextsuche nach "Zonengrenzlandfahrt".)

Über die Rundfahrt berichtete die EJZ am 16.3.1955 ausführlich:

"Elend durch Willkürgrenze
Internationale Presse in Schnackenburg und Bergen / Beispiele möglicher Hilfe

Bergen (Dumme). Die Zonengrenzfahrt der Landespressekonferenz mit den in Hannover akkreditierten Vertretern der Weltpresse durch den Kreis Lüchow-Dannenberg endete im Schützenhause zu Bergen mit einer etwa einstündigen Abschlußbesprechung unter Leitung ihres Vorsitzenden Karl Höpfner, in der in mehreren Kurzreferaten zur Lage auf den verschiedensten Gebieten Stellung genommen wurde.

Nach dem Besuche der Dömitzer Elbbrücke hatte die Fahrt nach Gorleben zu Fischermeister Köthke geführt, der den Teilnehmern über die Notlage der Elbefischerei berichtete und ihnen seine patentierten Fischereigeräte vorführte. Das wirtschaftliche Bild im nordöstlichsten Zipfel, in der Zonengrenzstadt Schnackenburg, beeindruckte die Presseleute sowie die Vertreter der Ministerien besonders stark. Schnackenburg ist durch die willkürliche Zonengrenze von seinem einstigen Hinterland völlig abgeschnürt. Auch der beste Wille, dort zu helfen, ist zur Erfolglosigkeit verurteilt, Alle Maßnahmen können immer nur Stückwerk bleiben, solange die Zonengrenze bestehen wird. Selbst die Apotheke ist dort ein ausgesprochen notleidender Betrieb. Man hat der Bevölkerung durch die Umlegung, die fortgesetzt werden soll, und durch die Übereignung des Alandwerders als Entschädigung für jenseits der Grenze verlorene Gebiete einen Ausgleich zu geben versucht. Man hat durch Deichbau-Arbeiten am "Bösen Ort" Beschäftigung für die Erwerbslosen geschaffen. Man will den Hafen eisfrei machen, will weitere Eindeichungen vornehmen, aber eine Hilfe auf weite Sicht erscheint hoffnungslos unter den gegebenen harten Bedingungen. Regierungsdirektor Berg (Lüneburg) zog in Schnackenburg wiederholt eine Parallele zu dem südlichen Zonengrenzort Bergen/Dumme, wies auf das Gemeinsame in der Lage hin und hob dann die günstigeren Möglichkeiten für eine wirkungsvolle Hilfeleistung von Bund und Land im Süden hervor.

Nun war man am Dienstagvormittag in diesem Gegenstück zu Schnackenburg eingetroffen, nachdem man auf der Fahrt von Lüchow auch Wustrow berührt und die beiden Rundlinge Klennow und Schreyahn als typische Wendlanddörfer kurz besichtigt hatte. Oberkreisdirektor Lübbert hatte während der Fahrt in einem kurzen Abriß die gegenwärtige Not Wustrows dargestellt, einst durch den Kaliabbau eine blühende Landstadt, heute im Zonengrenzwinkel wirtschaftlich schwerstens getroffen.

Muster einer Hilfsaktion

In der Abschlußbesprechung im Berger Schützenhause wies Regierungsdirektor Berg am Beispiel des Zonengrenzortes Bergen nach, wie es mit vereinten Kräften von Bund, Land und Kreis gelungen sei, mit einer "geballten Ladung" in einem anfangs hoffnungslos erschienenen Falle mit dem Fernziel der Besserung und mit der Erhaltung der Existenzen zu helfen Wörtlich sagte Berg: "Etwas Aussichtsloseres als diese Gemeinde Bergen/Dumme hatte ich vorher noch nicht gesehen. Hier war gar nichts los. Verkehrsmäßig war der Ort durch Verlust seines Bahnhofes und aller seiner alten Beziehungen zur Stadt Salzwedel und der Altmark völlig tot. Nach Westen hin schneiden Schnega und Clenze den Ort wirtschaftlich ab. Dennoch waren noch Dinge da, an denen es sich lohnte zu helfen." Dann zählte Berg die einzelnen Leistungen auf, die vollbracht worden sind: die vorbildliche Straße nach Nienbergen mit Anschluß zum dortigen Bahnhof, auf dem die Bundesbahn mit einem Umschlag von 600 Waggons rechnet; den Schulneubau; den Ausbau von Kanalisation und Wasserwerk und schließlich die Förderung des Fremdenverkehrs in diesem landschaftlich schön gelegenen Flecken. Außerdem seien verbilligte Kredite für Betriebe gewährt worden. Insgesamt seien 700.000 Mark an öffentlichen Mitteln in diesen Ort hineingeworfen worden. Nur durch eine solche "geballte Ladung" sei es möglich gewesen, die Existenz einer Gemeinde, die man sonst hoffnungslos hätte abschreiben müssen, zu erhalten und sie so zu stärken, daß sie im Augenblick einer Wiederöffnung der Zonengrenze in der Lage sein wird, sofort als eine leistungsfähige Gemeinde wieder in Aktion zu treten.

Nur konzentrierte Hilfe wirkt

Weiter erwähnte Regierungsdirektor Berg den Ausbau des Saales im „Waldfrieden“ zu Hitzacker. der Stadt der internationalen „Sommerlichen Musiktage“, und dankte vor allem dem Wirtschaftsministerium für die Hergabe der dazu erforderlichen Mittel. Schließlich teilte Berg mit. daß man nun daran gehe, in Dannenberg mit öffentlichen Zuschüssen ein Kino mit einem repräsentativen Saale für kulturelle Veranstaltungen zu bauen. Abschließend meinte er. daß echte Hilfe nur mit „geballten Ladungen“ zu erreichen sei, nicht aber mit kleinen Beträgen.

Nach Begrüßung der Gäste durch Bergens Bürgermeister Alfred Schneider hatte Gemeindesachbearbeiter Meinecke an Hand einer Wirtschaftskarte des Ortes dargelegt, daß Handel, Handwerk und freie Berufe 60 Prozent ihrer Auftraggeber durch die Grenzziehung verloren haben, daß alle Versuche einer Ansiedlung von Industriebetrieben fehlgeschlagen seien, daß 50 Prozent aller Einwohner von Renten und Unterstützungen leben und eine starke strukturelle Erwerbslosigkeit herrsche. Auf eine Anfrage nach der Höhe der Gewerbesteuer beeindruckte die Antwort: 300 Prozent (vorher sogar 325 Prozent!) allgemein.
Oberregierungsrat Dr. Froehlich - Uelzen berichtete in großen Zügen über die Arbeitsmarktlage im Kreise Lüchow-Dannenberg und bezeichnete diesen Kreis als einen der wenigen mit einem festen Kern von Erwerbslosen. Die alten altmärkischen Arbeitsplätze seien ihm genommen. 300 Schiffer zwischen Neudarchau und Schnackenburg hätten andere Berufe wählen müssen. Die Bevölkerung des Kreises sei von 1952 mit der Höchstzahl von 72 700 Einwohnern auf heute 65 000 abgesunken. Eine Flucht nach dem Westen sei eingetreten. 2 000 strukturelle Arbeitslose sind geblieben. Der Durchschnitt an Arbeitslosen betrage heute im Bund 4.7 Prozent (bei 4 Prozent spreche man im allgemeinen von einer Vollbeschäftigung), in Niedersachsen 7,2 Prozent und im Kreise Lüchow-Dannenberg 12 Prozent ! Leistungsfähige Betriebe im Zonengrenzstreifen anzusiedeln, sei trotz aller Bemühungen aussichtslos, weil die Industrie es scheue, hier sich anzusiedeln. Daher müsse man jetzt den umgekehrten Weg gehen: Komme die Industrie nicht zum Arbeiter, so müsse man durch Umsiedlung diesen zu ihr bringen. Aber dem stehe wieder die Wohnungsnot entgegen. Das zweite Sorgenkind im Kreise sei die Landwirtschaft, der es an ledigen Gesindekräften fehle. Landarbeiter mit Familien könnte sie sich im Kreise wegen der geringen Größe der Betriebe kaum leisten. Deshalb erwäge man bereits den Einsatz ausländischer Arbeitskräfte.

Zu wenig Gemeindeschwestern

Medizinalrat Dr. Kremp, der neue Kreisarzt. berichtete über die gesundheitlichen Verhältnisse, die nicht schlechter seien als in anderen Kreisen. Auch die Sterblichkeit der Säuglinge und der Erwachsenen liege nicht höher als anderswo. Von schweren Epidemien blieb der Kreis verschont, die Tuberkulose ist seit 1950 stark abgesunken. Die Untersuchung der Schulkinder habe allerdings viele Mängel gezeigt (Haltung, Fußkrankheiten usw.) Ihr Ernährungszustand sei nicht zufriedenstellend, wobei sich ergebe, daß die Kinder in den Städten besser ernährt seien als auf dem Lande. Wahrscheinlich würden die Kinder dort zu früh und zu sehr zu schweren Arbeiten herangezogen. Dr. Kremp behandelte weiter die ärztliche Betreuung der Bevölkerung, wobei er das Fehlen eines Facharztes für Kinderkrankheiten hervorhob. das Krankenhauswesen und die hygienischen Verhältnisse, die nicht schlechter seien als anderswo. Er bedauerte. daß nur 19 Gemeindeschwestern vorhanden seien, die bis zu 20 und 21 Gemeinden zu betreuen haben — Über das Gesundheitswesen im Nachbarkreise Gifhorn berichtete Medizinalrat Dr. Schulz-Gifhorn.

Nach einer Stärkung durch ein Frühstück im Schützenhause und einer Besichtigung seines Saales traten die Teilnehmer um 10.30 Uhr nach eineinhalbstündigem Aufenthalt die Weiterfahrt in den Kreis Gifhorn an. Sie wurden begleitet von Regierungsdirektor Gillhoff vom Niedersächsischen Landwirtschaftsministerium. Regierungsdirektor Hauer vom Kultusministerium und Regierungsrat Heise vom Wirtschaftsministerium. cg."
Quelle:    Kreisarchiv Lüchow-Dannenberg
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