Elbe-Jeetzel-Zeitung zur 800-Jahrfeier

Lüchow
Datum: 14. September 1958
Zeitraum: 1946 - 1960

Lob der kleinen Stadt

Du hast keine breiten Avenuen, durch die der moderne Verkehr brandet, du hast keine Paläste aus Granit, oder Stahl und Glas, auf deinem Kirchplatz reißt kein gotischer Dom den Blick gen Himmel. Keine ragenden Schlote und heulenden Sirenen künden in deinen Mauern von industrieller Betriebsamkeit, kein Weltprodukt hat deinen Namen draußen bekanntgemacht. Du hast weder einen Sohn mit großem Namen in die Welt gesandt, noch ist dein Name selbst mit Ewigkeitslettern ins Buch der Geschichte geschrieben. Deine Straßen sind gerade und übersichtlich, und das Leben in ihnen ist nicht gepeitscht von hektischer Hast. Die eindrucksvollen Fachwerkhäuser darin atmen Frieden und stille Würde, und die Gotik deines Gotteshauses ist von einer rührenden Bescheidenheit. Kein Schornstein zerreißt deine Silhouette, und. an deinem Rande sind blühende Wiesen, gelbe Kornfelder, rauschende Haine. Da ist der Fluß, der einstens Menschen sich hier ansiedeln ließ, er zieht gemächlich dahin, und es scheint, als wäre er eigens und nur für die Angler geschaffen. Sei gegrüßt, du kleine Stadt!

Was aber wäre dies alles ohne das dazwischen pulsierende Leben, ohne die Menschen der kleinen Stadt selbst, ganz gleich, wann sie Lüchower wurden! Es ist ein besonderer Schlag, mit dem man sich ausgezeichnet verträgt, mit dem man Pferde stehlen kann. Fahre doch einer mal in die Welt, er wird immer wieder irgendwo Lüchower treffen, und das Wiedersehen ist meist sehr emphatisch, mit Umarmungen und Umtrunk! Und sind sie auch daheim in der Sache manchmal uneins, jenseits des Diskussionstisches aber sind sie gesellig und verträglich. Dabei ist der homo lüchowiensis seiner Zeit gegenüber aufgeschlossen, durchaus modern und sitzt nicht still auf dem Plüschsofa, er rührt sich, vertritt seinen Standpunkt und liebt das Leben. Schon das junge Volk ist eine besondere, positive Art von „Teenagern" und „Halbstarken", die man liebgewinnt, weil man Vergleiche ziehen kann.

Alt und jung sind dabei, wenn gefeiert wird. Und gefeiert wird oft und gern. So haben es auch die echten Volksfeste leicht, in Lüchow Glanz und Zauber zu entfalten. Haus bei Haus finden sie ein Echo. Das Schützenfest zeigt es in jedem Jahr; und dieses Stadt-Jubiläum zeigt es nun zum zweiten Male in diesem Jahr: Diese Stadt ist eine Lebensgemeinschaft, die gewachsen ist und täglich neu wächst, die man nicht verordnen kann und die sich immer wieder spontan äußert. Und wenn die Menschen dieser Stadt einmal in Gruppen zu zerfallen drohen, nach Interessen gespalten, dann siegt eben doch wieder der homo lüchowiensis, das keep smiling aus Überzeugung und tiefster Seele, das da auszudrücken scheint: Mein Lieber, ich bin zwar nicht deiner Meinung, aber — wir wollen doch beide das Beste für Lüchow.

Für all das spricht die Beobachtung, wie schnell sich Neubürger, selbst neuester Ausgabe, den „alten Lüchowern"assimilieren, zu Lüchowern werden und mitmachen. „Lüchow allewege!" Nun denn: Achthundert Jahre haben dieses Bild geformt. Nicht, daß nur lauter Engel dabei herausgekommen wären. Beileibe nicht! Es ist der Bundesdurchschnitt. Aber er hat common sense!

Und diese kleine Stadt ist sich auch ihrer verpflichtenden Gegenwartsaufgabe gegenüber der deutschen Volksgemeinschaft bewußt. Heute wieder wie vor 800 Jahren hat sie sich darauf besonnen, daß sie mitten in deutschen Landen in abgewandelter Form dieselben Aufgaben zu erfüllen hat wie einst ihre Grafen. Heute hält Lüchow Wacht mit geistigen Waffen gen Osten,ist diese kleine Land- und Kreisstadt ein Kulturzentrum geworden, das im ganzen Bundesgebiet und sogar im Ausland durch den Kulturring der Stadt bekannt, ja sogar berühmt geworden ist. Weit spannt sich die Verbindung mit den bedeutendsten Kulturzentren Westdeutschlands von Hamburg bis München, von Düsseldorf und Dresden bis hinüber nach Dänemark und der
Schweiz. Lüchow ist zur aktiven Hüterin und Pflegerin bester abendländischer Kulturwerte geworden.

Der Gründer Geist ist nach Jahrhunderten wieder lebendig geworden und wirkt in unseren Tagen für das große Erbe der Ahnen, die hier an der Jeetzel deutsches Volkstum verteidigten und deren Nachfahren heute, verstärkt und neubelebt durch Menschen, deren Vorfahren einst auch aus diesem Räume zur Kolonisierung des Ostens auszogen, wieder an der Grenze nach Osten stehen. Altbürger und Neubürger dieser kleinen Stadt mit einer großen Vergangenheit haben Seite an Seite in gemeinsamer Front eine Stellung bezogen, die ihnen eine unselige Zonengrenze zugewiesen hat, und erfüllen still und friedlich, aber selbstbewußt wie die Ahnen die Losung, die der Gründer der Grafschaft Lüchow, der Welfenherzog Heinrich der Löwe, dieser Stadt erteilt hat.


Grußwort 1

Der Stadt Lüchow sende ich zur Feier ihres 800 jährigen Bestehens herzliche Grüße.

Lüchow kann auf eine wechselvolle Geschichte zurückblicken. Handwerker und Kaufleute aus allen deutschen Landen trugen schon frühzeitig dazu bei, das Gemeinwesen zu prägen und kraftvoll zu entfalten. Schwere Schicksalsschläge sind im Laufe der Jahrhunderte nicht ausgeblieben. Kriegsstürme und Feuersbrünste gingen über die Stadt hinweg. Ihre Lebenskraft blieb jedoch ungebrochen. Der Wiederaufbau nach dem großen Brand im Jahre 1811, als zwei Drittel der Stadt in Schutt und Asche lagen, zeugte hiervon in eindrucksvoller Weise. Vorbildlicher Bürgersinn schuf auch die Voraussetzung für den Aufstieg der Stadt seit dem Kriege. „Altbürger" und Vertriebene, denen die Stadt zur neuen Heimat geworden war, taten sich hierbei gleichmäßig hervor.

Möge der traditionelle Gemeinsinn der Bürgerschaft lebendig bleiben! Dann wird Lüchow, davon bin ich überzeugt, auch die Zukunft meistern und weiter vor seiner Geschichte bestehen können.

Von Herzen wünsche ich der Stadt an der Schwelle ihres 9. Jahrhunderts eine friedvolle und glückliche Entwicklung.

Hannover, im August 1958.

Heinrich Hellwege
Niedersächsischer Ministerpräsident


Grußwort 2

Das Alter unserer Städte messen wir mit anderen Maßstäben als unser eigenes. Eine Stadt erwirbt die Würde der Geschichtlichkeit nicht in ein oder zwei Jahrhunderten. 800 Jahre allerdings sind eine Zeitspanne, die wahrlich weit in die Vergangenheit hineinreicht. Fünfundzwanzig Menschengeschlechter lang gibt es die Stadt Lüchow. Fünfundzwanzig Menschengeschlechter sind hier geboren und gestorben, haben hier gelebt, gearbeitet, geliebt und gelitten. Solche Geschlechterfolge hinterläßt ihre Spuren. Die sichtbaren Spuren in Wegen und Grenzen, in Bauten und Gerät. Aber auch die unsichtbaren Spuren im Wesen der Menschen, die tiefe Wurzeln geschlagen haben. Diese Geschichtlichkeit eines Gemeinwesens ist ein kostbares Gut, dessen Wert wir erst da richtig ermessen, wo wir geschichtslosen Boden betreten.

Mit ihren Festtagen greift die Stadt tief in die Fülle ihrer Vergangenheit und Tradition. Ein verborgener Reichtum wird sichtbar, der die Bürger bereichert und ihre Stadt erhöht. Dazu übermittele ich meine von Herzen kommenden Glückwünsche.

Trotz der acht Jahrhunderte ihrer Geschichte ist Lüchow keine alte Stadt. Der Begriff des Alterns paßt nicht auf Gemeinwesen, solange sie sich von Generation zu Generation erneuern und verjüngen, solange die Geschichtlichkeit nicht Fessel wird, sondern Antriebskraft zu immer neuer Weiterentwicklung bleibt. Die Menschen und die Bauten, das Leben und die Straßen dieser Stadt zeigen deutlich genug, daß Lüchow nicht nur eine Geschichte hat, sondern auch eine Stadt der lebendigen Gegenwart ist. Dazu erst recht meine warmen Glückwünsche!

Möge die Stadt noch vielen glücklichen und vom Schöpfer gesegneten Geschlechtern Heimat und Lebensraum sein!

Hinrich Wilhelm Kopf
Niedersächsischer Minister des Inneren
Quelle:  Torsten  Schoepe
Nutzungsrechte: Zur Klärung etwaiger Urheberrechte wenden Sie sich bitte an Torsten Schoepe, Plater Weg 4, 29439 Lüchow, e-mail torsten@schoepe.de. Wenn als Autor Torsten Schoepe angegeben ist, unterliegt die Abbildung besonderen Nutzungsrechten.
Stadtjubiläum • Zeitungsartikel
Archiv-ID: 31993
Kommentare
Torsten Schoepe 08.02.2019
Hallo Herr Schütte, vielen Dank für den Hinweis. Das PDF ist in den Bereich "Bibliographie" umgezogen. Viele Grüße Torsten Schoepe
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