Lüchow
Lange Straße (zwischen Jeetzel und Bergstraße)
Datum: um 1905
Zeitraum: 1900 - 1913
Etwas links der Bildmitte, mit einer Hausecke bis an die Straße heranreichend, ist auf diesem Ausschnitt einer alten Ansichtskarte (ID 24524) der um 1912 abgerissene, an den Standort der alten Holländerwindmühle im Osten von Lüchow translozierte, Malzspeicher des Brauers Schultz zu sehen. Die Mauer links davon spielt weiter unten im Text noch eine Rolle. Ganz links am Bildrand das ebenfalls nicht mehr existierende Haus des Tierarztes Nitzschke (gekauft von Fa. Hettig und für eine Geschäftserweiterung abgerissen).
Pers. Anmerkung von Torsten Schoepe: Albrecht Hettig wies mich im Gespräch zu dieser Ansichtskarte explizit auf den Speicher hin. Am Vortag hatte ich Besuch von Andi Distler, der mir sagte, dass er versucht, in jedem Foto das "Besondere" zu entdecken. Recht hat er und dieses Detail auf einer lang bekannten Stadtansicht beweist mal wieder, dass es sich lohnt, jeden Quadratzentimeter alter Aufnahmen mit den Augen "abzuscannen".
Weitere Angaben zu dem Speicher finden sich bei der ID 55211.
...und dann gibt es noch einen wunderbaren Artikel aus der EJZ vom 20. Oktober 1950
"Es ist eine bekannte Tatsache, daß viele Dinge ein anderes Aussehen bekommen, wenn das helle Tageslicht auf sie eindringt. Wer zum Beispiel durch die wirklich guten Straßen der Stadt Lüchow geht, ahnt nicht, was einige Meter unter seinen Füßen sich aus grauer Vergangenheit noch anfindet. Wer einmal Gelegenheit hatte, einen alten Stadtplan von Lüchow aus der Zeit vor 1811, also dem Brandjahr, zu studieren, wird sich wundern, welche Geschlechter einst in den Häusern gewohnt haben. Man findet Namen, welche längst vergessen sind. Aber auch wieder andere, deren Nachkommen noch heute hier wohnen.
Welche baulichen Veränderungen die Stadt in den letzten hundert Jahren erlebte, ist ebenfalls aus dieser Karte zu ersehen. Wenn Schiller von der wohltätigen Macht des Feuers spricht, so kann man ihm nur beipflichten. Schelten Sie mich ruhig gemütsroh, aber wenn Sie die Lage der Häuser und Straßen in Lüchow vor 1811 gesehen haben, werden auch Sie einsehen, daß es trotz allen Elends, welches eine Feuersbrunst mit sich bringt, sich doch später zum Segen auswirkt. Jedenfalls wäre das alte Lüchow, wenn es heute noch so stände, bestimmt ohne Auto- und Motorradverkehr geblieben. Aber auch dem damaligen französischen Kommandanten müssen wir dankbar sein, weil er kategorisch mit Blei und Lineal die künftigen Straßenfluchten in den Stadtplan eintrug, nach dem auch später gebaut wurde.
Habe ich ihnen bisher von dem Stadtbild oberhalb des Pflasters erzählt, so können Sie sich augenblicklich recht gut über die früheren Zustände unterhalb des Pflasters informieren. An der Ecke des Moslerschen Hauses werden augenblicklich große Ausschachtungsarbeilen vorgenommen. Gärtnermeister Barges läßt dort einen Verkaufsraum errichten. Hier können Baulustige Einblick gewinnen in die Untergrundsverhältnisse im Ort. In früheren Jahrhunderten lag der Straßenspiegel mit dem Wasserspiegel in gleicher Höhe. Die Bewohner hatten sogenannte Knüppeldämme errichtet, von denen früher bei dem Bau der Langen Straße, und auch anderswo, manches an das Tageslicht gelangte.
Wenn wir heute von einer der drei Brücken auf das Wasser herabschauen, machen wir die Wahrnehmung, daß dieses so geblieben ist, wie es war, die Straßen der Stadt dagegen mehrere Meter erhöht sind. Was aber zwischen diesen Erdschichten liegt, ist das, was der Forscher zur Feststellung gebraucht.
Bei dem erwähnten Bau nun sieht man gewaltige Feldsteine und eisenhartes Mauerwerk, welches offensichtlich einen ehemaligen Keller darstellt. Sehenswert für Fachleute ist der schräg zum Wohnhaus Mosler unter diesem hindurchlaufende Abflußkanal zur Jeetzel. Aus Feldsteinen erstellt, aber ein Prachtstück in der Ausführung. Jedenfalls hat man damals noch keine Submissionsausschreibung mit Mindestfordernden gekannt.
Um aber alle Fragen zu befriedigen: dieser Keller gehörte zu der einstigen Malzdarre der Brauerei C. H. Schultz. Ältere Lüchower haben den Speicher noch gut gekannt, welcher ehemals den Platz bedeckte, an dem heute der Bau Mosler steht. Den Oberbau kann man heute noch besichtigen, er steht an der Straße zum neuen Friedhof in seiner ursprünglichen Gestalt und birgt das Lager der Firma Gornig.
In diesem Speicher hat lange Jahre ein alter Lüchower Arbeiter, Wilhelm Ponath, seines Amtes gewaltet, um für die Brauerei und Brennerei das erforderliche Malz zu bereiten. Ponath ist gestorben. Schultz braut kein Bier mehr. Nur der Speicher steht noch einsam und träumt von vergangenen Tagen. Mir fällt eine Episode ein, welche sich einst im Speicher abgespielt hat. Ponath, ein außerordentlich fleißiger Arbeiter, hatte einen Augenblick Pause gemacht und schaut von oben aus einer Speicher-Luke auf das Treiben der Straße. Sein Brotgeber Schultz ist leise die Treppe heraufgekommen, ohne von Ponath bemerkt zu werden. Nach einer Weile stummen Betrachtens sagt er: „Willem, wenn du genog keken hast, mak ok de Klapp werrer dicht", worauf er schmunzelnd weiterging.
Um weiteren Wißbegierigen Auskunft zu geben, noch folgendes: Vom vorerwähnten Speicher bis zum Hause Hettig stand eine Mauer aus Holzfachwerk und schloß den Amtshof, welcher hier eine Auffahrt hatte, ab. Hinter dieser Mauer, nach der Amtshofseite, war es sehr gefährlich, in der Dunkelheit Versteck zu spielen. Diese Seite war traditionsgemäß ein Abladeplatz für menschliche Beschwerden. Aber das gehört schon längst der Vergangenheit an. Heute kann man auf Kieswegen wandeln und im Pavillon unterschlüpfen. Bald wird auf den ehemaligen Kellerfundamenten des Malzspeichers die Blumenhalle der Firma Barges mit den Kindern Floras die Menschen erfreuen. Und bald wird auch niemand mehr da sein, der noch etwas vom „Molt-Spieker“ und Wilhelm Ponath weiß. C. T."
Quelle:
Torsten
Schoepe
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