Lübeln
Datum: 4. April 1981
Zeitraum: 1981 - 1990
EJZ vom 6.4.1981
"Der Kanzler kam heimlich nach Lübeln und Gartow
Helmut Schmidt sprach mit Kommunalpolitikern und beobachtete Kraniche
Lübeln/Gartow. Unter größter Geheimhaltung war am Sonnabend Bundeskanzler Helmut Schmidt in den Kreis Lüchow-Dannenberg gekommen. Im Wendlandhof in Lübeln erörterte er unter Ausschluß der Presse mit Kreispolitikern und Mitgliedern der Gorleben-Kommission das atomare Entsorgungskonzept des Bundes, anschließend wurde im „Haus des Gastes“ in Gartow zu Mittag gegessen, dort wurde über das Zwischen- und das Endlager gesprochen. Der Bundeskanzler: „Ich habe Spannungen wohl bemerkt. Sie werden zum größten Teil von außen hereingetragen, existieren aber auch im Kreis selbst.“ Weiter meinte der Kanzler, daß diese Spannungen unvermeidlich seien, wenn es um Kernenergie gehe.
Helmut Schmidt: „Unruhe entsteht erst immer dann da, wenn sich Menschen geistig mit etwas beschäftigen, was sie noch nicht kennen, etwa nach dem Motto: Wat de Bur nich kennt, dat frit he nicht“ Der Kanzler räumte ein, daß es bisher an rechtzeitigen Informationen gefehlt habe. Als sehr wichtig bezeichnete er die Möglichkeit, Fragen zu stellen und auch Antworten zu bekommen. Über die hiesigen Kommunalpolitiker sagte Schmidt, sie hätten einen knorrigen und standhaften Eindruck gemacht, die „lassen sich nicht aus dem Anzug pusten“.
Zum Thema Zwischen- und Endlager meinte der Kanzler, daß der Kreis Lüchow-Dannenberg einen wichtigen Beitrag zur Verwirklichung des Entsorgungskonzepts von Bund und Ländern leiste. Die darin liegenden Fortschritte der Entsorgungsfrage würden die Entscheidungen über einen Ausbau der Kernenergie in dem für die Energieversorgung der Bundesrepublik unerläßlichem Umfang erleichtern.
Schmidt wies auch auf alternative Energiegewinnung wie zum Beispiel durch eine Bio-Äthanol-Anlage hin. Diese sollte, so der Kanzler, in Lüchow-Dannenberg als Forschungseinrichtung gebaut werden; die landwirtschaftliche Struktur dieses Kreises würde dafür die besten Voraussetzungen bieten. Zum Fremdenverkehr meinte Schmidt, daß sich eine Verbindungsstraße zu der noch zu bauenden Autobahn Berlin—Hamburg belebend für diese Region am Zonenrand auswirken könnte. Auf die Frage eines NDR-Reporters, ob die Trasse eines Autobahnzubringers nicht einen erneuten Eingriff in die Landschaft darstelle, antwortete der Bundeskanzler: „Von der Zerstörung des Landkreises zu sprechen, ist eine unsinnige Übertreibung.“ Sich an den fragenden Reporter persönlich wendend äußerte Schmidt: „Sie gingen noch zur Schule, als ich schon an Naturschutz dachte.“
Nach dem offiziellen Teil dieses mit Kreispolitikem vereinbarten aber geheimgehaltenen Blitzbesuches widmete sich der Kanzler mit seiner Frau Loki den Kranichen und einem Adlerhorst nahe der Elbe. Geführt von Forstoberrat Seebaß wurde dieser Ausflug in die heimische Vogelwelt ein Beobachtungs-Erfolg.
Fazit dieses Besuches: Bonn braucht Gorleben, um spätestens nach 1985 ein eigenes Entsorgungskonzept vorlegen zu können. Von diesem Termin an muß die Bundesrepublik mit ihren atomaren Abfällen allein fertig werden; der Vertrag mit Frankreich (La Hague) läuft aus. Ohne eigenes Entsorgungskonzept ist ein Ausbau der Kernenergie nach dem Atomgesetz nicht möglich. So könnte man vom Zugzwang des Kanzlers sprechen, der seine „Atompartie“ mit den „knorrigen Bauern“ aus dem Wendland eröffnen möchte. -co-"
Autor/-in:
Torsten
Schoepe
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Atomenergie und Widerstand
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